Ente und Stiärägrind
Fränggi Imhof, pensionierter MFA-Arbeiter, baut seit 32 Jahren an seinem Lebenswerk – dem Bau eines 8000 Quadratmeter grossen Biotops im Urserntal. Mit seiner Arbeit will er «Mutter Natur» wieder etwas zurückgeben. Als er 1986 mit der Arbeit begann, war er für viele einfach ein Spinner. Und es wusste noch niemand, was das Wort Biodiversität bedeutet.
In den Steinbergen bei Realp, hat Fränggi Imhof 1986 ein Ökonomiegebäude umgebaut und ein kleines Paradies geschaffen. Noch heute erinnert vieles an die Landwirtschaft: Der Stand für die Kühe, Geissen und Schafe, der Mistgraben, ein Ankenfass, ein Chäskessi oder alte Milchkannen. Imhof ist ein Handwerker, ein Allrounder. Im ehemaligen Stall sind Zangen, Akkubohrer, Pickel, Kanthölzer
oder Elektroteile stets griffbereit – Imhof ist immer am «Gwirrbä», wie er sagt. Die Heubühne – ein hoher offener Raum mit Küche, Esszimmer und einer Pritsche unter dem Dach zum Schlafen. Der Raum gleicht einem Museum: Von den Dachbalken hängen Packsättel für Maultiere. Tragkörbe, Käsekessi, Heubeeristrähle, Hufeisen, Fotos, Postkarten, Leidhälgäli bedecken die Wände. An einer Wand hängen, eingerahmt, zwei Zeitungsartikel vom ältesten überlieferten Hexenprozess des Urserntals. 1459 wurde Katharina von den Steinbergen zum Tod durch das Schwert verurteilt und hingerichtet. «Es gibt noch heute eingesessene Reälpler, die sich, aus Angst vor Geistern, nie trauen würden, in den Steinbergen zu übernachten», sagt Fränggi Imhof.
Fernweh nach Australien
«Ich bin der jüngste von sechs Geschwistern, 1944 geboren», erzählt Imhof. «Aufgewachsen in Altdorf, an der Giessenstrasse. Gerne hätte ich eine Lehre als Elektrotechniker bei der Landis & Gyr gemacht, das lag leider aus finanziellen Gründen nicht drin. Vater hatte 1941 das Haus gebaut. Als Magaziner auf dem Bau hatte er keinen grossen Lohn. So halfen alle Kinder mit. Bis ich zwanzig Jahre alt war, gab ich, wie meine Geschwister, den Lohn zu Hause ab.» Nach einer Anlehre als Schlosser im Schächenwald, arbeitete Fränggi Imhof in der Munitionsproduktion. Er hatte bereits damals grosse Pläne und dieses Fernweh in sich, das ihn wegzog: Eine Bergbaufirma in Australien suchte Handwerker. Fränggi Imhof, sein Cousin Hans Conrad, Maurer, und sein Freund Walter Gisler, gelernter Schlosser hatten bereits die Verträge und die Visa.
Seine Mutter war weniger begeistert, Fränggi versprach: «Wenn ich innerhalb eines Jahres eine Frau kennenlerne, werde ich nicht auswandern.» Am 1. April 1967, vor 52 Jahren, heiratete in Bauen er Rita Regli. Er hielt sein Versprechen und blieb in Altdorf. «Am 25. Juni 1967 flogen Hans und Walter nach Australien. Sie schrieben mir, ich solle nachkommen. Aber ich wusste, wenn ich sie besucht hätte, wäre ich nie mehr heimkommen.» Fränggi Imhof blieb MFA-Angestellter, arbeitete in verschiedenen Abteilungen, bildete sich stets weiter. 2000 liess er sich frühzeitig pensionieren.
Mutter Erde
Fränggi Imhof liebt die Natur, am liebsten wäre er Förster geworden. Als Ausgleich zu seiner Arbeit war er in den Bergen unterwegs. Im Sommer als Bergsteiger und Kristallsucher, im Winter als Höhlenforscher. Seine Kondition trainierte er mit dem Höhlenteam Uri, u. a. mit Peter Amacher, Roli Furger oder Sepp Gisler. «Es brauchte sehr viel Mut und Selbstsicherheit, um sich beim Flüeler Axentunnel 80 Meter bis zum Seespiegel abzuseilen und am Seil wieder hochzuklettern», sagt Imhof.
1986 konnte Fränggi Imhof ein Ökonomiegebäude in Realp kaufen, samt 8000 Quadratmeter Land und Auenwald. Der Stall im Weiler Steinbergen war am Verfallen. Die Bruchsteinmauern zum Teil eingestürzt, das Holz bereits morsch. Imhof arbeitete jede freie Minute, ersetzte das Dach, baute eine neue Heubühne, reparierte die Mauern fachgerecht. Für viele galt er als Spinner. 10 Jahre kämpfte Imhof für den Schutz des Weilers. Seit 1996 ist der Weiler Steinbergen im Schweizerischen Inventar der Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung (KGS-Inventar) und im Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) aufgelistet. Und Fränggi Imhof war stolz auf seinen Stiärägrind.
Auch in der Umgebung gab es für Fränggi Imhof viel Arbeit. Nach dem Hochwasser von 1987 war sein Auenwald voller Kies und Steine. «Davor war hier ein Sumpfgebiet mit vielen Pflanzen und Tieren», erzählt Imhof. «Ein Paradies – das wollte ich wiederherstellen. Von der Furka-Dampfbahn mietete ich einen Bagger. Damit konnte ich Teiche und Gräben anlegen und Quellwasser ins Biotop leiten. Vielerorts kam ich mit dem Bagger nicht hin. Die Gräben und Teiche habe ich dort mit Schaufel und Pickel ausgehoben und mit der Garette Steine und Erde weggeschafft.» Seit 32 Jahren sich der Umweltpionier in seinem Biotop für die Artenvielfalt ein. Als er 1987 mit der Arbeit begann, war der Begriff «Biodiversität» unbekannt. Fränggi Imhofs Mission ist vom tiefen Wunsch beseelt die Natur zu achten und sie als «Mutter Natur» zu ehren.
Geschützte Wildnis
Heute will Fränggi Imhof Orchideen in sein Biotop setzen. Die Pflanzen hat er aus dem Wallis, aus einem identischen Auengebiet. Eine Naturstrasse, inzwischen verwachsen, führt an den Rand des
Biotops. Der Weg ist mit einer Kette abgesperrt. «Privat – Achtung Bienen und Schlangen!» steht auf dem Schild. Es ist Imhof wichtig, dass das sein Biotop nicht betreten wird. Tiere sollen nicht gestört, Blumen dürfen nicht gepflückt werden. Er will die Natur sich selbst überlassen.
Fränggi Imhof trägt eine Kartonschachtel mit den Pflanzensetzlingen und ein Gartenwerkzeug. Der Weg wird schmäler. Mit einem kleinen Rasenmäher hat Imhof einen Weg durch das Dickicht geschnitten. Mit der Hacke gräbt er kleine Löcher in den Boden, setzt die Pflanzen, drückt die Erde ein wenig an. Einige bevorzugen trockene Böden, andere sind auf viel Feuchtigkeit angewiesen. Imhof hofft, dass die Pflanzen durch Absamen sich im ganzen Biotop verbreiten. «Hier werden bald Frösche laichen», sagt Imhof und zeigt auf einen grossen Tümpel. «Da habe ich Äste aufgeschichtet, sie bieten Tieren Unterschlupf. Auch Bodenbrüter finden im Dickicht ihr Versteck, Rehe legen hier ab. Schmetterlinge, Heuschrecken, Libellen nutzen die verschiedenen Auenbiotope im Laufe ihres Lebenszyklus. Amphibien, sowie zahlreiche Vogel- und Säugetierarten finden hier Nahrung. Es freut mich, wenn etwas bleibt, wenn ich nicht mehr da bin.»
2012 bis 2014 hat der Kanton Uri die Aue Widen wiederhergestellt. Der ehemalige Hochwasserschutzdamm der Furkareuss wurde teilweise rückgebaut und auf dem Campingplatz entstand eine Fläche für den Auenwald. Jetzt schafft der Fluss ständig neue Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Hochwasser (Schmelzwasser) und Perioden von Trockenheit, Erosion und Auflandung sorgen für einen dauernden Wandel. Von der Arbeit des Kantons profitierte auch Fränggi Imhof. Er konnte seine Biotopfläche durch Landabtausch an den Kanton vergrössern. Mit Baggern wurden weitere Teiche und Gräben ausgehoben, Imhof konnte auf dem Boden mit Sägemehl die auszuhebenden Becken und Kanäle kennzeichnen. Seine Arbeit und sein Wissen werden heute vom kantonalen Natur- und Heimatschutz sehr geschätzt.
Die Ente, die Allrounderin
In einer kleinen, kreisrunden Lichtung, auf einem improvisierten Steinbänkchen nimmt Fränggi Imhof Platz. Sein Ort zum Meditieren. Zufrieden nimmt er seine Pfeife aus der Jackentasche, zündet sie an, bläst den Rauch in die Luft. Er schliesst die Augen, geniesst das Zwitschern der Vögel, pfeift einer Amsel, die ihm antwortet. «Vor 30 Jahren gab es hier sieben, acht verschiedene Vogelarten, jetzt sind es über dreissig. Darunter ganz seltene wie das Gelbkehlchen, das Blaukehlchen, der Eisvogel oder der Flussuferläufer.» In seinem Auenbiotop wächst auch die Lorbeerweide. Die Lorbeerweiden sind europaweit einzigartig und von internationaler Bedeutung. Eine, die die sogenannte Hegetschweiler Weide, wächst nur im Furkagebiet.
Fränggi Imhof ist ein positiv denkender Mensch, er will aufbauen und nicht zerstören: «Ich will mit meiner Arbeit der Natur Raum zurückgeben. Das gibt auch mir Energie. Jetzt arbeite ich schon 32 Jahre an meinem Biotop. Vielleicht bin ich darum so ausdauernd, weil ich ä huärä Stiärägrind oder eine Ente bin», sagt Fränggi Imhof und lächelt. Er bezeichnet sich als Allrounder: «Der Löwe, der König der Tiere, ist ein Spezialist. Die Ente hingegen ist eine Allrounderin – sie kann laufen, fliegen, schwimmen und tauchen. Kommt ein Fuchs, kann sie schwimmen. Kommt ein Raubvogel, kann sie tauchen.»
In sternenklaren Nächten sieht Fränggi Imhof in den Steinbergen gern in den Sternenhimmel. «Das Universum ist grossartig. Wir sind ganz klein, nehmen uns viel zu wichtig. Unser Leben ist kurz. Wir kommen zur Welt, um zu gehen – Das ist der Kreislauf aller Menschen, Tiere und Pflanzen.»