Der Bauernmaler Hans Müller

Hans und Maria Müller gehört der Bauernbetrieb Kloster­matte in Unterschächen, 7 ha gross, samt Pachtland. Im Winter arbeiteten beide in der Heimarbeitswerkstätte Unterschächen, Hans Müller über 40 Jahre. Eher zufällig kam er 2004 zur Malerei: Nach einem Unfall, konnte Müller mehrere Monate nicht arbeiten. Aus Zeitvertreib begann er mit dem Bleistift zu zeichnen. Später malte er erste grossformatige Bilder: Ansichten von Unterschächen, vom Urnerboden, vom Brunnital, gemalt mit Acrylfarben. Die neuesten Bilder erzählen von seiner Kindheit, vom Leben auf der Alp, von der bäuerlichen Arbeit.

 

Maler seines Lebens

Am 11. Juni 1951 kam Hans Müller als viertes von elf Kindern im Obermattli, Unterschächen zur Welt. Es sei eine «Schwergeburt» gewesen. Bei der Alpauffahrt auf den Urnerboden war Hans erst 10 Tage alt. Die kleineren Kinder fuhren mit der Mutter und sämtli-chem Gepäck im Postauto, die grösseren trieben mit dem Vater die Kühe über den Pass. Bei der Stäfelfahrt wurde der kleine Hans im Rückenkorb nach Wannelen getragen.

Im Januar 1954 kam die Lawine bis ins Dorf. Das Haus in der Klostermatte war im Schnee eingemacht. «Ein Kind nach dem andern wurde aus dem Fenster gereicht und zu den Nachbarn getragen», erinnert sich Hans Müller. «Der Stall wurde verschoben, das Haus war beschädigt, aber noch bewohnbar.»

Als Fünfjähriger durfte Hans mit seinem Vater einmal auf eine Baustelle und schaute zu, wie ein Stall aufgebaut wird. «Daheim wurde das Gesehene mit meinem Bruder umgesetzt», erinnert sich Hans Müller. «Auch wir bauten einen Stall. Mit dem Stemmeisen gruben wir eine Jauchegrube und legten in das Loch das Wasserschiff des Holzherds. Vaters Haarschneideapparat diente als Mähmaschine. Zu einem weiteren Hausbau kam es leider nicht. Als Vater von der Alp heimkam ärgerte er sich, dass überall Werkzeuge herumlagen. Es gab sofort Baustopp.»

«Als Vater 1960 das Haus in der Klostermatte umbaute, brauchte er Tannen, die er bei Äsch im Winter fällte. Für den Transport befes-tigte er einen grossen Baumstamm mit Seilen auf zwei Schlitten. Ich war damals erst sechsjährig und durfte unseren Stier führen. Ich ging voraus, Vater lenkte die Schlitten. So männten wir das Holz Richtung Ribi-Säge. Als wir einmal auf der Höhe des Schilttals waren, donnerte eine Staublawine ins Tal. Wir kamen mit dem Schrecken davon. Der Mutter durfte ich davon nichts erzählen, sie hätte sich nur geängstigt.»

 

Mit 12 Jahren Seilwart

Im Frühling 1963 ging Hans Müller mit seinem Vater, damals Alpvogt, mit sieben Kühen auf Wannelen. Er half beim Melken, beim Hagen und Unkrautmähen. Sogar die Seilbahn, eine Wasserbahn, durfte er bedienen. In der Bergstation wurde der Tank des talwärts sausenden Bähnchens mit 250 Litern Wasser befüllt. Es zog mit dem Eigengewicht das bergwärts fahrende Schiffchen hoch. So konn-ten Lasten bis 150 Kilogramm befördert werden. Personen wurden nach ihrem Gewicht befragt. Das Seilen erforderte sehr viel Ge-schick, vor allem beim Bremsen. Betätigte man den Bremshebel zu früh, mussten die Wanneler Älplerinnen und Älpler bei der Berg-station die Seilbahn von Hand hochziehen. Deshalb liess man das Bähnchen sausen. Das Pfeifen des Bähnchens war weitherum zu hö-ren. Mit zwei Minuten Fahrzeit, heute braucht die Bahn dazu acht Minuten, galt das Wannelen-Bähnli als schnellste Seilbahn im Kanton Uri.

Im Sommer 1963 und 1964 war Hans Müller Knechtli beim «Muheimä Kari» auf dem Urnerboden und auf der Oberalp. «Wir versorgten 17 Kühe, zwei Kälber und einige Schweine. Gemolken wurde von Hand. Es war eine schöne und unvergessliche Zeit mit dem bald 70-jährigen Meister», sagt Hans Müller. Seine Lieblingskuh war das «Blüemli». Als einmal ein heftiges Gewitter losbrach, gelang es Hans sämtliche Kühe rechtzeitig zum Stall zu locken. Nur eine blieb zurück, das Blüemli, und rettete ihm damit das Leben. Sekunden später schlug ein Blitz in den Weg.

 

Talent als Zeichner und Erfinder

Bereits in der Schule bewies Hans sein zeichnerisches Talent. Die Schulschwester meinte, Hans würde ein guter Bauzeichner. Eine Berufslehre kam für seinen Vater überhaupt nicht infrage: «Hans wird Bauer, er kann gut melken und versteht sich mit den Tieren.» Nach der Schule, der Arbeit auf verschiedenen Baustellen und zwei Winterkursen an der Bauernschule in Seedorf, führte der 19-Jährige 1970 als Pächter den Bauernhof seiner Eltern. Sein lungenkranker Vater ertrug die Stallluft nicht mehr. 1975 übernahm Hans Müller den Heimbetrieb.

1980 heiratete Hans Müller Maria Arnold, vier Kinder kamen zur Welt. Die Familie wohnte im Obermattli, in der Ribi – im Winter monate-lang ohne Sonnenschein. 1988 bauten Hans und Maria Müller ein Zweifamilien-Haus, an einem sonnigen Platz, in der Klostermatte. Dort wurde das fünfte Kind geboren. Die KInder halfen mit im Stall, beim Heuen und auf der Alp. Die Kühe waren im Sommer beim Bruder Franz auf Urnerboden und Wannelen z Alp.

Später sömmerten Hans und Maria Müller ihre Kühe auf der Heimkuhweide im Brunnital. Zum Melken entwickelte Hans ein besondere Vorrichtung. Auf seinem Mähtrack befestigte er eine hölzerne Kiste, dort hatten der Generator, die Melkmaschine, sämtliche Melkuten-silien, die Milchkannen und eine Kanne heisses Wasser Platz. Maria setzte sich neben Hans auf den Traktor und so fuhren sie morgens und abends ins Brunnital zum Melken. Maria holte die Kühe, band sie links und rechts am Traktor fest, Hans setzte sich zwischen beide Kühe und besorgte das Melken. Die Kühe liebten das Surren des Generators, schlossen die Augen und schienen zu meditieren. Am Schluss wurde die Melkmaschine mit heissem Wasser gereinigt, die Kiste mit den vollen Kannen beladen und Hans fuhr mit Maria wieder heim. Und einen Stall ausmisten mussten sie auch nicht.

 

Malen aus der Erinnerung

In seinem kleinen Atelier im Dachstock des Hauses liegen Dutzende von Farbtuben, Bilder stapeln sich entlang der Wände. Kleinere Format lagert Hans Müller in Schränken und Kommoden. Als Malgrund dienen Sperrholzplatten. Seit über 10 Jahren malt Hans Müller ausschliesslich mit Acryl-Farben: «Gegenüber den Ölfarben haben Acrylfarben viele Vorteile. Sie werden anstatt mit dem giftigen Ter-pentin mit Wasser verdünnt, trocknen schnell und sind geruchsneutral. Zudem eignen sich Acrylfarben hervorragend zur Wiedergabe von Strukturen: Durch den erhöhten Farbauftrag wirken die Bilder niemals flach. Besonders plastisch werden Felsen oder Tannen.

Bei Hans Müller dreht sich alles um Unterschächen. Hier kennt er jeden Heublätz, jedes Tälchen, jeden Berg und jedes Heimet. Hans Müller malt nicht nach Vorlagen oder Fotos, sondern aus dem Gedächtnis: «Meist fange ich mit dem Himmel an, male als zweites die Berge, dann die Menschen im Vordergrund.» Seine Bilder erzählen vom Bauernleben, von der Arbeit auf der Alp, von der Liebe, von der Familie. Zu jedem Bild weiss Hans Müller viel zu erzählen.

Als Kenner der Dorfgeschichte beschäftigen ihn auch schwere Schicksalsschläge, wie die Lawinenwinter 1967 und 68. Menschen kamen ums Leben, Häuser wie das Holzerbärgli, das Unterbächi oder das Zgraggenhaus in Gurtnellen wurden zerstört. Auf seinen Bildern erwachen sie zu neuem Leben. Hans Müller rekonstruiert mit Pinsel und Farbe ein Stück Geschichte, damit sie nicht in Verges-senheit gerät.

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Neuer Lawinenwinter?

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