Horämänel Slow Race

13. Januar 2018: Bei der Hütte auf der Stucklialp liegen dutzende Hornschlitten umgekehrt im Schnee, sie wurden mit dem Pistenfahr-zeug auf den Berg transportiert. Die Rennteilnehmer stapfen entlang der Piste hoch. Aus den Lautsprechern tönt das Morgenpro-gramm von Radio Central. Als die ersten Fahrer eintreffen, wechselt der Hüttenwart auf Ländler. Die kleine Hütte füllt sich rasch. Heisser Kaffee wird serviert, Zucker und Schnapsflaschen stehen auf dem Tisch. Da kann sich jeder bedienen. Und an der Schneebar gibt’s Bratwürste und Cervelats vom Grill.

 

Würmer fressen Mänel weg

Die Hornschlitten waren, wie überall im Berggebiet, lange das Transportmittel Nummer eins. Heu, Brennholz und Mist wurden im Winter ins Tal geschlittelt und zu den Heimbetrieben gezogen. Dazu brauchte man oft Rinder oder Ochsen. Mit der Mechanisierung der Land-wirtschaft und der Erschliessung der Bergheimet durch Strassen hatten die Hornschlitten ausgedient, bis 1988 einige findige Köpfe im Toggenburg den Schlitten als Sportgerät entdeckten.

Roli Deck, Präsident des Horämänel-Club Schwyz erzählt: «Ich bin im Dottenried, auf einem Bergbauernbetrieb oberhalb Seewen aufgewachsen. Ich erinnere mich gut, wie mein Vater noch mit dem Hornschlitten im Winter Mist seilte. Mein Grossvater Josef Maria (1916 geboren) war ein ‹böser› Schlittler. Fünf Meter lange Trämel hat er ins Tal geführt und mit Ketten, die er vorne um die Kufen wickelte, gebremst.» Das Heu- und Holzziehen war gefährlich, die Talfahrt schwierig zu kontrollieren. Genügend Neuschnee auf einer harten Unterlage erleichterte das Steuern. Seit den 1990er-Jahren werden in der Schweiz kaum mehr Hornschlitten gebaut. «Die Schlit-ten werden älter und morscher, die Würmer fressen uns die Mänel weg», bemerkt Roli Deck lachend. Auch der Muotataler Älpler Daniel Büeler weiss einiges zu erzählen: «Im Sommer heuen wir im Heubrieg, seilen die Heupünggel auf Horgrasen, holen das Heu dort im Winter und transportieren es mit Hornschlitten ins Tal.» Aus Plausch, findet Daniel Büeler. Es sei schön, dass diese alte Tradition nicht vergessen geht. Ende Dezember 2017 war es wieder so weit: 1,4 Tonnen Heu transportierte der Muotataler Älpler mit sechs Kollegen auf Hornschlitten von Horgrasen (1100 m ü. M.) zum Bauern Paul Betschart, Muotathal. Nach dem Abladen des Heus wurde, wie immer, tüchtig gefeiert.

 

Zwischen Sport und Brauchtum

Zum Rennen sind nur Original-Hornschlitten zugelassen, wie sie früher auf Bergbauernheimen verwendet wurden. Das Hornschlitten-fahren ist gegenüber dem normalen «Schlitteln» weitaus anstrengender und gefährlicher. Mit bis zu 70 km/h rasen die Teams den Hang herunter. Um Unfällen vorzubeugen sind Aufbauten, das Anbringen von Skis auf den Kufen oder das Vorwärmen verboten. Helme werden empfohlen, sind jedoch nicht Vorschrift. Das Rennreglement schreibt zudem vor, dass alkoholisierte Fahrer aus Sicher-heitsgründen vom Start ausgeschlossen werden könnten. Disqualifiziert wird, wer nicht alle Tore der 1400 Meter langen Rennstrecke korrekt passiert. Die Rennstrecke entlang der Skipiste ist abgesperrt und an kritischen Stellen mit orangen Fangnetzen gesichert.

Punkt 12.30 Uhr, Rennbeginn: strahlend blauer Himmel am Start auf der Stucklialp, der grösste Teil der Rennstrecke liegt jedoch im dichten Nebel. So wird die Orientierung schwierig und einige Tore sind schwer anzufahren. Besonders das Tor nach der ersten Gelän-dekuppe stellt einige Schlitten vor Probleme: Sie geraten ins Rutschen, andere fahren am Tor vorbei und steigen zurück. Zwischenfälle, über die sich die Fahrerinnen und Fahrer kaum aufregen, vielmehr ihren Spass dran haben. Viele Zuschauer entlang den Absperrnetzen beob­achten diese Schlüsselstelle und freuen sich über das Spektakel. Während einige Teams in Helm und die Strecke rennmässig bewältigen, lassen sich andere Zeit: In Nagel-Schuhen, mit Stulpen, schwarzer Zipfelmütze, einer Pfeife oder Brissago im Mund und einem kleinen Heufuder zur Polsterung auf dem Schlitten, steuern sie gelassen talwärts. Nach rund zwei Stunden sind sämtliche Schlitten im Ziel, immerhin fast. 5 Frauen- und 34 Männerteams erreichen das Ziel, 23 wurden disqualifiziert, 14 sind nicht am Start erschienen. Besonders gemütlich nehmen es die Muotataler: Pius Bürgler und der Wildheuer Daniel Büeler erreichten das Ziel mit einem Rückstand von 1h 11.37.06. Ihr Ziel letzte zu werden, verpassten Büeler und Bürgler um 7 Min und 19 Sekunden: Ein anderes Team aus dem Muotatal war noch langsamer. Siegerin bei den Frauen wird ein Schlitten des HSCZ Zäziwil, gesteuert von Karin Kunz und Raja Hager (1:37.29) Bei den Männern gewinnen Marco Schmidiger und Pius Felder vom HSC Fontannen/HC Klusen (1:24.30) Nach der Rangverkündigung wird auf dem Festgelände bis in den frühen Morgen tüchtig gefeiert.

 

Hornschlittenrennen in der Schweiz

Hochburgen der Hornschlittenrennen in der Schweiz ist das Berggebiet im Berner Oberland, der Zentralschweiz und in der Ostschweiz. 1988 taten sich 15 Männer des Hornschlittenclubs Alt St. Johann zusammentaten, um das erste Hornschlittenrennen der Schweiz auf die Beine zu stellen. 1989 fand das erste Rennen statt, 60 Schlitten waren damals dabei. 2001 rasten am meisten Schlitten ins Tal, danach nahm die Zahl der Teilnehmenden ab. Besonders die Teilnehmer der Kategorie «Originelle Schlitten» wurden gefördert, wie die Hornschlittenfahrer aus dem Unterland, die auch schon mit einem Mamut oder einer Titanic talwärts sausten. Zu Beginn waren diese Teilnehmer noch belächelt worden, aber die Zuschauer kamen wegen der Schiffe, Raketen, Ställe oder Rettungswagen, die sich über die 1080 Meter lange Rennstrecke mit allerlei Zwischenfällen talwärts mühte. 2013 war nach 25 Jahren in Alt St. Johann Schluss. Es fehlte der Nachwuchs und der Vorstand, überaltert, mochte nicht mehr. «Auch wir haben mit dem Nachwuchs zu kämpfen», sagt Roli Deck, Präsident des Horämänel-Clubs Schwyz, der dieses Jahr das 28. Horämänel-Rennen durchführte. Die Teilnehmerzahl ist gesunken, seitdem die Rennen nicht mehr am Sonntag, sondern am Samstag durchgeführt werden. Auch der Schneemangel machte den Organi-satoren zu schaffen, Rennen mussten abgesagt werden. Nichtdestotrotz: Vom 20. Januar bis zum 11. März stehen 12 Hornschlitten-rennen an: im Entlebuch, im Berner Oberland, in Nid- und Obwalden und in Braunwald. Bestimmt einer der Höhepunkte: Am Sonntag, 11. Februar 2018, starten bei «glärriger Piste» die Hornschlitten zum 32. Mal in Braunwald in den Kategorien Flitzer-Schlittä, Buurä-Schlittä und Sujet-Schlitten.

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Der Bauernmaler Hans Müller

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