Die Laubgeister von Sulz
Diese drei Meter hohen Laubgeister ziehen von Brunnen zu Brunnen und verspritzen dabei eine Menge Wasser. Dies soll ein fruchtbares Jahr bringen und einen trockenen Sommer verhindern.
Die Vorbereitungen in Bütz
Fünf Stunden vor dem Einzug ins Dorf begeben sich rund 50 Erwachsene und Kinder in den Bützigwald. Buchenäste werden geschnitten und von Kindern zusammengetragen, zu Bündeln verschnürt und bereitgelegt, um später den Pfingstsprützlig einzukleiden. Mädchen und Frauen pflücken Blumen, binden sie zu Sträussen. Ein Forstarbeiter packt die Motorsäge, fällt ein dürres Bäumchen, schichtet Holz für ein Feuer. Wenig später steigt Rauch auf, Cervelats werden eingeschnitten, Getränke verteilt. Die Arbeit im Wald, das Bräteln einer Cervelat und das Zusammensein macht allen sichtlich Spass.
Zum Pfingstsprützlig bestimmt zu werden, ist eine Ehre. Heute wird es Joel Stäuble, ein junger Maurer. Kurz vor 14 Uhr zieht er sich ein altes «Gschtältli», die Grundtrageinheit der Schweizer Armee, über. Daran werden im Brustbereich die Buchenbündel und am Rücken ein der Körperform angepasster Ast in Verlängerung der Wirbelsäule befestigt. Die Einkleidung beginnt bei den Beinen:
Routiniert befestigen mehrere Männer mit Hilfe von Kindern und Jugendlichen Büschel um Büschel und geben so das Wissen über den Bau des Pfingstsprützligs weiter. Eine halbe Stunde später ist von Joel Stäuble nichts mehr zu sehen: Er wurde, über und über mit Buchenästen eingepackt, in einen drei Meter hohen Buchenbaum verwandelt. Eine mystische, märchenhafte Gestalt, geschmückt mit kleinen Fahnen und einem Wiesenblumenstrauss.
Von Brunnen zu Brunnen
Punkt 15 Uhr setzt sich am Dorfrand von Sulz der Zug in Bewegung: Voraus drei fahnenschwingende Buben mit der Sulzer-, der Aargauer- und der Schweizer Fahne. Die Sulzerinnen und Sulzer sind stolz auf ihr Brauchtum. Dahinter wankt der etwas schwerfällig wirkende Pfingssprützlig. Seine Sicht ist eingeschränkt, darum wird er von zwei jungen Männern geführt. Ihre dunkelgrünen T-Shirts tragen das Logo „Pfingstsprützlig Sulz“. Das einzige Werkzeug des Pfingstsprützligs ist ein dicker Ast, eine Art Paddel: die beiden Astenden sind zu einem Ruderblatt geformt. Begleitet wird der Pfingstsprützlig von einem langen Zug von Kindern und Erwachsenen. Die Kinder tragen kleine Schellen, Wiesensträusse und Buchenzweige. Beim ersten Brunnen neigt sich der Sprützlig mit Hilfe seiner beiden Begleiter nach vorne, bis sein Laubkleid auf dem Brunnenrand aufliegt. Mit dem Ast wühlen nun alle drei das Wasser kräftig auf, bis der Brunnen leer ist. Wasserfontänen spritzen nach allen Seiten. Mit Fahnenschwingen und Rufen werden die drei zu Höchstleistungen angespornt. Nach rund einer Minute, so lange dauert das Spektakel, sind die drei Männer total durchnässt. Die Zuschauer klatschen begeistert, die Kinder läuten mit ihren Glocken. Dann bewegt sich der Zug weiter – von Brunnen zu Brunnen. Das Laubkleid des Pfingstsprützlig wird immer schwerer.
Nach einer Stunde treffen sich die drei Pfingstsprützlig von Sulz aus den Ortsteilen Obersulz, Mittelsulz und Bütz beim Turnhallenplatz zum Finale, dem Wettspritzen. Dabei legt sich jeder Pfingstsprützlig, angefeuert von vielen Zuschauenden, nochmals mächtig ins Zeug.
Es wird gefilmt, fotografiert und kommentiert: Welcher der drei Pfingstsprützlig ist am schönsten geschmückt? Welcher höher oder breiter gebaut? Wer steckt drin? Nach 20 Minuten liegen die drei Pfingstsprützlig total erschöpft im Gras und lassen sich von ihren Helfern aus ihrem Kleid herausschneiden. Technomusik dröhnt aus der Bar, DJ SCH’ENZ hat aufgedreht und am Grill brutzeln Fleischspiesse. Gefestet wird bis spät abends ...
Auch im Nachbardorf Gansingen kennt man den Brauch des Pfingstsprützligs oder Pfeischtsprützligs, wie er auch genannt wird. Nur ist die Figur viel beweglicher. Mit seinen überlangen Armen aus Buchenlaub bespritzt er die die Zuschauenden. Junge Frauen werden dem Laubgeist in die nassen Arme gestossen. Das bringe Fruchtbarkeit, heisst es.
Feste der Lebensfreude
Der Baum, der Jahrhunderte überdauert, zog den Menschen seit jeher an. Der Baum wurde zum Symbol des Lebens und der Lebenskraft. Man pflanzte nach der Geburt eines Kindes beim Haus einen Obstbaum. Im Baselland stehen auf den Dorfbrunnen, die mit farbigen Bändern geschmückten Maibäume als Symbole der Fruchtbarkeit und der aufblühenden Natur.
In manchen Gegenden Deutschlands, etwa in Bayern, Württemberg und im Rheinland, sind auch private Maibäume üblich, die von jungen Männern am Haus ihrer Freundin oder Angebeteten angebracht werden. Im Sensebezirk und im Bezirk La Glâne des Kantons Freiburg pflegt man noch heute das Maisingen. Es handelt sich dabei um ein Heischesingen, mit dem Kinder Süssigkeiten und Geld sammeln. Im Aargau, Luzern oder Solothurn spielen die Maibuben übermütige Streiche: sie lassen von der Sitzbank bis zum Gartentor alles mitgehen, was in den Gärten der Dörfer nicht niet- und nagelfest ist, und stapeln es auf einem zentralen Platz; die Eigentümer der Gegenstände haben sie dort selbst wieder herauszusuchen.
Oft findet zu Pfingsten auch ein Umreiten oder Umtanzen der Brunnen statt, weil man an die besondere Heilkraft und reinigende Wirkung des Brunnenwassers glaubte. Eng verwandt mit dem Pfingstsprützlig ist die Vorstellung von der «Lebensrute»: grüne Äste, mit denen man im Frühling junge Frauen zu berühren oder auch zu schlagen pflegte, um die Lebenskraft der Pflanzentriebe auf die Menschen zu übertragen.