Holzen am Limit

Der 1932 geborene Gustav Kieliger wohnt heute in Erstfeld, aufgewachsen ist er mit sieben Geschwister auf dem Heimet Limi in Bristen. Kieliger erinnert sich an die Mangeljahre während des Zweiten Weltkriegs: «Die Familien lebten als Selbstversorger vom Bauernbetrieb, von den Geissen und Kühen und von den Allmendgärten, wo wir Kartoffeln und Gemüse anpflanzten. Am 1. September 1939 läuteten die Kirchenglocken, es war Krieg, Mobilmachung. Auch mein Vater war wochenlang im Dienst und die Mutter musste mit uns Kindern die Arbeit allein bewältigen.»

 

Papierholz

Im Winter gab es für die Bauern im Tal eine einzige Verdienstmöglichkeit: das Holzen. Vier bis fünf Bauern arbeiteten in Holzergruppen zusammen. Im Herbst zeichnete der Bannwart und der Förster die zu fällenden Bäume. Danach fand in Bristen in einem Restaurant die Holzsteigerung statt. Oft haben sich die Holzergruppen gegenseitig überboten, sodass sich die Arbeit kaum mehr lohnte. Trotzdem, es gab etwas Geld und Zeit hatte man im Winter genug.

«Ich arbeitete vorwiegend mit meinen Brüdern in einer Holzergruppe. Ich bezahlte das Holz und war verantwortlich für alles – von der Holzgewinnung bis zum Verkauf an die Papierfabrik und der Auszahlung der Löhne», erklärt Kieliger. «Im Herbst, Vorwinter haben wird die Bäume gefällt. Dazu stiegen wir in unwegsames, steiles Gelände im Lauchernwald oder im Etzliboden. Schon der Weg dorthin war anstrengend. Gefällt wurden die Bäume mit Waldsägen, Motorsägen gab es noch keine. Nach dem Entasten haben wir die Stämme zum Etzlibach gereistet. Dort wurde das Holz in metrige Trämel zersägt und war nun zum Flössen bereit. Wenn Im Frühling mit der Schneeschmelze im Etzlibach der Wasserstand und die Strömung anstiegen, war es Zeit zum Flössen. Der Bach transportierte die meterlangen Holzträmel bis zum Rechen oberhalb des Dorfes. Dort haben wir die Holztötze aus dem Bach gezogen und sie für den Abtransport zur Papierfabrik Perlen bereitgemacht.»

 

Gefährliche Flösserei

Viel Arbeit gab der Bau des Rechens. «Zwei rund 16 Meter lange Stämme wurden im Abstand von anderthalb Meter quer über den Bach verankert. Mit 200er-Nägeln befestigten wir vertikal an den beiden Stämmen 60 bis 70 Holzlatten. So wurde der Rechen zusammengebaut. Nun mussten wir den idealen Tag abwarten. Stieg im Mai der Wasserstand im Etzlibach, war auch die Strömung reissend genug, um das Holz zu transportieren. Beim Etzliboden, unter dem Porthüsler, haben wir die metrigen Trämel ins Wasser gestossen. Die Flössstrecke bis zum Rechen betrug rund vier Kilometer», erzählt Gustav Kieliger. Die Holzergruppe ging entlang des Flussbetts talwärts. In kurzer Zeit waren die Flösser durchnässt. «Das hat uns damals nichts ausgemacht, die Folgen spürten wir erst Jahrzehnte später», sagt Kieliger.

Blieben Trämel zwischen Steinen oder am Ufer stecken, mussten sie mit vier Meter langen Flösserhaken bewegt werden. Manchmal blieb das Holz auch unter dem Lawinenschnee stecken. Zwar hatte das Wasser hatte einen Tunnel in den Lawinenkegel gefressen. War der Durchlass aber zu wenig hoch, sprengten die Stämme den Lawinenkegel und rissen Lawinenholz und Erlenbüsche mit. Viel Holz kam auf eimal und der Rechen in kurzer Zeit voll. Einmal zerstörte die Masse Holz den Rechen und die Trämel wurden bis in den Urnersee geschwemmt.

«Man musste immer vorsichtig sein, dass niemand ins Wasser fiel. Der Bach hätte dich mitgerissen, hätte dich getötet, so stark ist die Strömung. Schwimmen konnten wir nicht, genützt hätte es ohnehin nichts.»

«Die gefährlichste Stelle im Bachbett befindet sich unterhalb der Herrenlimi. Dort stürzt der stiebende Etzlibach in einer Schlucht über zwei Wasserfälle, eingezwängt zwischen hundert Meter hohen Felswänden. Der grosse Fall ist über 40 Meter hoch. Oberhalb dieses Falls befindet sich ein Becken, dort drehten sich die Trämel durch die Strömung im Kreis und kamen nicht mehr weiter. Die Flösser standen im Bachbett, bewegten die Holztötze, die dann vom stiebenden Bach in die Tiefe gerissen wurden. Blieben weiter unten Trämel zwischen den Steinen stecken, musste man in die Schlucht absteigen. Ich habe dann an einer schweren Buche ein Seil festgemacht, mich rückwärts abgeseilt, die Trämel gelöst und mich anschliessend am Gletscherseil wieder hochgezogen.» War das Holz beim Rechen aus dem Wasser gezogen, war die Arbeit noch nicht fertig. Das nasse schwere Holz musste zuerst trocknen, danach wurden die von den Steinen zerschlagenen Enden abgesägt und das Holz bis zum Kohlplatz transportiert.

 

Beschäftigung statt Arbeit

«Im Etzlital hätte man viel mehr Holz zeichnen müssen», sagt Kieliger. «Unser Verdienst wäre höher gewesen und die Arbeit hätte sich gelohnt. Man hat das Holz im Herbst gekauft, mit Waldsägen gefällt, mit dem Zappy gereistet, vermetert, den Rechen gebaut, die Trämel geflösst und abtransportiert. Der Aufwand war riesig. Oft gab es für die Arbeit nur noch ein Trinkgeld und der Verkaufspreis für einen Ster Holz lag nur wenig über dem Einstandspreis. 1973 zahlte ich 38 Franken für einen Ster Holz, verkaufen konnte ich das Papierholz für 45 Franken. Der Stundenlohn lag unter 4 Franken. Das war dann nur noch Beschäftigung. Miär hend gschaffet, dass miär am Aabig miäd gsi sind und Arbet gha hend.»

 

Von Frühling bis Herbst war die Familie Kieliger auf dem Bauernbetrieb Limi gefordert. Schönen, Misten, Heuen, Wildheuen – es gab Arbeit, mehr als genug. Im Winter war Gustav Kieliger im Tessin am Holzen, im Bündnerland oder im Kanton Glarus am Holzen – im Akkord. Nebenbei war er jahrelang Störmetzger. Manchmal arbeitete er im Winter auf dem Bau, eine Festanstellung hatte Kieliger jedoch nie. «Man musste fragen, wo es Arbeit gab. Kanntest du den Chef nicht persönlich, warst du chancenlos», sagt Kieliger. Als von 1947 bis 1949 die Hochspannungsleitung im Etzlital gebaut wurde, gab es Arbeit vor Ort. «Mit acht Seilbahnen wurde das Kies für den Beton bis unter die Mittelplatte geseilt. Die 100 Kilogramm schweren Benzinmotoren für Seilwinden trugen zwei Personen auf Latten bis zu ihrem Einsatzort», erinnert sich Kieliger.

Heute wohnt Gustav Kieliger bei seinem Sohn Gustav in Erstfeld. Im Sommer ist er gern im Heimet Limi, in Bristen.

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