Hristos se rodi!
Glückwünsche mit Schnaps
In den Altdorfer Allmendgärten hat Savo Stevanovic ein Gärtchen gemietet. Seit Jahren ist er der Grillmeister der serbisch-orthodoxen Familien im Kanton Uri. Heute, am 6. Januar, feiern die Serben «Badnji dan», Heiligabend. Es gilt das traditionelle Weihnachtsessen vorzubereiten. Savo Stevanovic ist bereits um 6 Uhr früh aufgestanden und hat seinen selbstgebauten Grill installiert. Um 9 Uhr drehen sich zwei Spanferkel langsam am Spiess, eines für seine Familie und eines für einen Freund. Eine Autobatterie liefert den Strom. Der Boden und drei Seitenwände sind mit Blechen abgedeckt, in der Mitte glüht ein länglicher Haufen Holzkohle. Im Garten haben sich mehrere Männer versammelt. Savo Stevanovic giesst in kleinen Plastikbecher selbstgebrannten Zwetschgenschnaps, «Rakija», das serbische Nationalgetränk. Nebojsa Gavric hat eine Flasche Quittenschnaps mitgebracht von seinem Onkel in Bosnien. Man wünscht sich schöne Festtage, giesst ein Becherchen Schnaps nach. «Sechs Stunden müssen die beiden Spanferkel grillieren, nur so wird es innen zart und durchgebraten», sagt Stevanovic. «Das Fleisch werde ich morgen nach dem Weihnachtsessen an meine Gäste verteilen.»
Am 7. Januar feiern die Serben Weihnachten und die 40-tägige Fastenzeit geht zu Ende. Die meisten Serben fasten jedoch nur am
6. Januar. «Wir verzichten auf tierische Produkte, wie Fleisch, Käse, Milch oder Eier», erklärt Nebojsa Gavric. «Am 6. Januar bereitet meine Frau mit unseren Töchtern die traditionellen Speisen zu: ‹Pasulj›, weisse Bohnen, dazu gibt’s Fisch und Pita mit Kartoffel- oder Apfelfüllung.»
Am «Badnji dan», Heiligabend, fällen Männer früh morgens im Wald einen jungen Eichenbaum, den «Badnjak». Die Eiche steht für das Holz, welche die Hirten zur Geburt Christi mitgebracht hatten, um es mit einem Feuer im Stall zu wärmen, so die Legende. Anstelle eines Eichenbaums werden heute meist einige Eichenäste gesammelt oder man kauft die «Badnjak-Zweige» an Heiligabend, nach dem Gottesdienst.
Heiligabend in Altdorf
Am «Badnji dan», strömen bereits um 16 Uhr, eine Stunde vor Beginn der Liturgie, die Gläubigen in die Kapelle zum Unteren Heiligen Kreuz in Altdorf. Still ist es nicht, Freunde und Familien treffen sich, die Begrüssung ist herzlich. Beim Eingang sind Bienenwachskerzen in verschiedenen Grössen zu haben. Diese werden zu Ehren der Lebenden und den Toten bei den Ikonen vor dem Altar angezündet. Um bis zum Altar zu kommen, müssen sich die Gottesdienstbesucher geduldig in die Menschenschlange einreihen. Die beiden Ikonen, eine zeigt Maria mit dem Jesuskind, die andere, Christus, werden von den Gläubigen geküsst. Auf einem grossen Metallgestell mit zwei Tablaren brennen Kerzen. Die untere Ebene ist für die Verstorbenen reserviert, die obere für die Lebenden. Jede Kerze wird geküsst, bevor sie angezündet wird.
Um 17 Uhr eröffnet der Priester Dragan Stanojevic mit dem Verteilen von Weihrauch die rund zweistündige Weihnachtsfeier. Die Gläubigen stehen auf. Rund 500 Personen befinden sich im Kirchenraum, im Mittelgang stehen die Gläubigen dicht gedrängt, die Kirchentüre steht offen, auch unter dem Vorzeichen wohnen Menschen dem Gottesdienst bei. Sämtliche Gebete werden gesungen, eine Chorsängerin antwortet im Wechselgesang auf die Gebete des Priesters. Die Gläubigen sind still und stehen während der gesamten Andacht. Erst als der Priester Dragan Stanojevic den Brief des orthodoxen Patriarchen Irinej verliest, dürfen sich die Gläubigen setzen.
Nach der Messe werden «Badnjak-Zweige» verkauft und jede Familie geht zur Weihnachtsfeier nach Hause. Zuerst weiht der Vater die Ikonen mit Weihrauch. Erst dann setzt sich die Familie an den Tisch. Das Abendessen an diesem Abend folgt streng den kirchlichen Regeln des Fastens, Brot wird nicht mit dem Messer geschnitten, sondern mit den Händen gebrochen. Das fleischlose Abendessen besteht traditionell aus Fisch, Bohnen und Kabissalat.
Am frühen Morgen wird in vielen Familien die «Česnica», der serbische Weihnachtskuchen für das Frühstück gebacken. In der «Česnica» sind eine Münze, eine Bohne und ein Weizenkorn versteckt. Sie verheissen Reichtum, Glück und Erfolg im neuen Jahr.
Jeder bricht, wie bei einem Dreikönigskuchen, ein Stück von der «Česnica» ab. Nebst dem Brot werden Fleisch des gegrillten Spanferkels, Krautsalat und «Sarma» (Kohlwickel) gegessen. Immer steht ein zusätzliches Gedeck als Zeichen der Gasfreundschaft bereit. Der Weihnachtstag beginnt mit der Ankunft und Gruss des ersten Gastes, dem «Položajnik». Er betritt mit dem rechten Fuss die Stube und streut Korn über die Familie und spricht die Worte: «Hristos se rod!i» (Christus ist geboren). Die Familie antwortet: «Vaistinu se rodi» (Wahrlich, er ist geboren).
Weihnachtsmesse in Buchrain
Am 7. Januar, dem serbischen Weihnachtstag, haben sich die Gläubigen um 9 Uhr in der ehemals katholischen Kirche St. Agatha in Buchrain zur Weihnachtsmesse versammelt. 2006 wurde das Kircheninnere für orthodoxe Messen umgestaltet.
Mit den Worten «Hristos se rodi!», Christus ist geboren, begrüsst der Sigrist die Gläubigen. In seinem Devotionalienladen können nebst Kerzen, Rosenkränze, Ikonen oder Weihrauch gekauft werden. Die Menschen unterhalten sich in ihrer Muttersprache. Die Messe wird in Serbisch abgehalten. Der Pfarrer steht, meist von der Gemeinde abgewandt, in der mittleren Öffnung der Ikonenwand. Die Bilder der Seitenaltäre sind mit grossen Ikonen, Maria mit dem Jesuskind und Christus als Pantokrator (Weltenherrscher) zugedeckt. Davor brennen Dutzende von Opferkerzen zu Ehren der Lebenden und der Toten. In der Mitte steht ein hölzernes Pult mit dem serbischen Doppeladler, darauf eine Ikone, ein Gebetsbuch, ein Kreuz und ein kleiner Korb für die Kollekte. Nach der Messe wird anstatt heisser «Rakija» (Zwetschgen-Schnaps) Glühwein angeboten.
Der Priester Dragan Stanojevic ist im Januar ein vielbeschäftigter Mann: Am 6. Januar hielt er Messen in Altdorf, Baar und in der Pfarrkirche St. Agatha in Buchrain. In Baar erschienen tausend, in Buchrain zweitausend Gläubige zum Gottesdienst, darunter sehr viele junge Familien. Drei Messen an drei verschiedenen Orten ist selbst für den engagierten Priester Dragan Stanojevic zu viel. Er möchte alle serbisch-orthodoxen Gläubigen der Zentralschweiz in einer Kirche versammeln.
Zwei Mal Weihnachten
Nebojsa Gavric aus Tuzla (Bosnien) flüchtete 1992 vor dem Bürgerkrieg in die Schweiz. Hier lernte er seine Frau Ljubinka kennen.
Sie kam 1989 aus Belgrad in die Schweiz. «Obschon wir schon seit Jahren in Schattdorf, im Kanton Uri leben, sind uns die serbischen Traditionen sehr wichtig. Wir wollen die serbische Kultur unseren Kindern weitergeben», sagt Nebojsa Gavric. So wird in der Familie ausschliesslich Serbisch gesprochen. Ende Dezember, Anfang Januar besuchen sie ihre Verwandten in Belgrad und Bosnien.
Am 6. Und 7. Januar feiert die Familie Gavric das serbische Weihnachtsfest mit seinem vielfältigen Brauchtum daheim in Schattdorf. Sie ist Teil der serbisch-orthodoxen Gemeinschaft in Uri, besucht die Messe an Heiligabend. Zu Hause steht seit dem 14. Dezember auch ein Christbaum: Die Familie Gavric feiert nebst dem serbisch-orthodoxen auch das römisch-katholische Weihnachtsfest. «Unsere Kinder sind im Kanton Uri, in einer katholisch geprägten Kultur aufgewachsen», sagt Nebojsa Gavric. «Sie sind hier verwurzelt, besuchten die Primarschule und das Gymnasium.» Ljubinka und Nebojsa Gavric haben einen grossen Bekanntenkreis, dazu gehören auch viele Urnerinnen und Urner. Die Familie fühlt sich im Kanton Uri zuhause. «Selbstverständlich feiern wir auch am 24. Dezember Weihnachten. Das war uns stets wichtig, besonders als die Kinder klein waren. Sie waren damit nicht ausgegrenzt, konnten mitreden.» Über die doppelte Weihnachtsfeier freuen sich die inzwischen erwachsenen Kinder. «Sie erhalten zwei Mal Geschenke», sagt Nebojsa Gavric und lächelt.
Serbisch-orthodoxe Kirche in der Zentralschweiz
Die serbisch-orthodoxe Kirche richtet sich nach dem julianischen Kalender, der 13 Tage hinter der gregorianischen Zeitrechnung der katholischen und evangelischen Christen liegt. So fällt Heiligabend für die Serben auf den 6. Januar, Weihnachten auf den 7. Januar.
In der Zentralschweiz bekennen sich rund 5000 Menschen (Schweiz 150'000) zum serbisch-orthodoxen Glauben. Weil die serbisch-orthodoxe Kirche vom Staat nicht anerkannt ist, kann sie keine Kirchensteuern erheben. Sie ist darum als Verein organisiert und finanziert sich durch freiwillige Beiträge und Kollekten. Einziger fester Angestellter ist der Priester. Weitere, in der Kirche engagierte Personen, arbeiten als Freiwillige. Die Kirche ist bei jungen Familien populär. Im Gegensatz zu den Landeskirchen verzeichnet die serbisch-orthodoxe Kirche keinen Mitgliederschwund.