Zauberhafte Strohsterne

Stroh ist ein Naturprodukt, ein genialer Werkstoff mit unterschiedlichen Facetten und überraschend vielseitig verwendbar. Mit viel handwerklichem Können kann Stroh vielseitig verarbeitet werden. Stroh kann zum Beispiel geflochten, als ganze oder geteilte Halme, zu «Schnürli» gedreht, naturbelassen oder gefärbt, geglättet, zu Strohplatten zusammen­gefügt, gestanzt, gestickt oder gewoben werden. «Im Gegensatz zu Stickfäden aus Gold und Silber, die oxidieren, übertrifft Stroh alle anderen Rohstoffe und verliert nichts von seinem Glanz, der prächtiger ist, als derjenige vieler anderer Rohmaterialien», schrieb die Engländerin Veronica Main, die während Jahren die Herstellungstechniken der Freiämter Strohflechterinnen erforschte. In ihrem Buch «Zauberhaftes Stroh – Herstellungstechniken aus dem Freiamt» sind unzählige Stroharbeiten und ihre Herstellung exakt beschrieben.

 

Von klein auf mit Stroh verbunden

Edith Lang ist in Boswil, im Freiamt aufgewachsen: «Wir waren fünf Kinder, in den Ferien haben wir immer auf dem Bauernhof geholfen. Wir hatten noch einen Bindemäher, die anderen hatten längst einen Mähdrescher. Der Mähbinder übernimmt das Mähen des Getreides sowie das Bündeln und Binden der Getreidehalme zu Garben. Die gebundenen Garben legt der Bindemäher auf dem Feld ab. Fünf bis sechs Garben stellte man zu Puppen und liess das Korn trocknen. Im Winter wurde der Weizen in der Scheune mit der Dreschmaschine gedroschen. Stroh wurde gebraucht für das Vieh zum Einstreuen.»

 

Rohmaterial für Kunstwerke

Stroh als «Abfallprodukt» des Kornanbaus lässt sich jedoch nicht zu Kunstwerken formen. In der Blütezeit der Freiamter Strohindustrie bauten die Bauern Roggen exklusiv zur Strohproduktion an. Der Roggen für die Strohindustrie musste mit besonderer Sorgfalt geerntet und eingebracht werden. Höchste Qualität war gefordert und die Halme durften keinesfalls genknickt werden. «Das ist heute nicht anders», sagt Edith Lang. «Den Roggen bauen Rita Moser und Urs Gumann für mich an. Ich lasse die Halme extra gross wachsen, damit die Teile zwischen den Knoten (Nodien) auch möglichst lange sind. Dadurch gibt es viel mehr Möglichkeiten für die Verarbeitung. Nach der Ernte, die zwei Meter langen Halme sind noch grün, lege ich sie zum Trocknen und Bleichen bei schönem Wetter ins Freie. Danach bringe ich die die Büschel in meine Garage. Hier werden sie aufgehängt, bis das Stroh ganz ausgetrocknet,und bereit ist für die Weiterverarbeitung.» Der Prozess des Trocknens erforderte höchste Aufmerksamkeit. So muss das Stroh am Abend nach dem Trocknen und Bleichen an der Sonne, wegen der Feuchtigkeit nachts ins Haus genommen werden.

 

Vom Strohflechten fasziniert

Edith Lang bindet vor allem Strohsterne, Engel und Strohelemente für den Trachtenschmuck. Ihre Leidenschaft sind die Strohsterne. «Nach dem ersten Strohstern war die Faszination da», erinnert sich Edith Lang. Sie bestellte Stroh und übte, durch die Übung bekam sie Handfertigkeit. Innerhalb von 15 Jahren hat sie ein unglaubliches handwerkliches Können entwickelt. Neben den kleinen Strohsternen für Christbäume baut sie aufwendige, grosse Strohsterne, mit Durchmessern von rund 90 cm. Dazu braucht sie einzelne Elemente, wie den Fächer. Diese werden auf einer Sagexplatte mit aufgezeichneten Kreisen und Linien sternförmig zusammengefügt, mit Nadeln fixiert und verleimt. Viele sind zwölfzackig, wirken durch mehrere Lagen dreidimensional, plastisch. «Meine Sterne haben eine sehr filigrane, reich verzierte, kreisförmige Mitte. Das gibt dem Stern auch Festigkeit. Der äussere Bereich mündet in mehrere Zacken. Hier verwende ich oft ganze Strohhalme oder ganze Ähren. Es entsteht dadurch ein kinetischer Effekt, als würde der Stern vom Zentrum aus Strahlen aussenden», sagt Edith Lang. Nebst den Sternen fertigt Edith Lang Posaunen-Strohengel und zahlreiche Elemente für den Trachtenschmuck, wie Hutgarnituren oder Strohsträusschen.

 

Tausende Möglichkeiten

Ein wichtiges Werkzeug ist der Halmspalter. Damit kann ein Strohhalm in 2, 3, 6 oder 8 dünne Halme aufgeteilt werden. Das gespaltene Stroh ermöglicht feine Stroharbeiten. Dazu braucht es einfache Werkzeuge wie Spreurechen oder Nadeln, viel Geduld und handwerkliches Geschick. Rösli, Sternli, Knöpfli, Rösli, Federli oder Halbmöndli, heissen einige der kleinen Kunstwerke. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, der Werkstoff Stroh bietet tausende von Möglichkeiten. Wird Stroh zu Strohschnürli verarbeitet, lassen sich filigrane Arbeiten erstellen, die an Makramee oder Spitzenarbeiten erinnern. Das Freiämter Strohmuseum besitzt liturgische Gewänder aus Samt, welche um 1850 von Nonnen bestickt wurden. Die Verzierungen aus Stroh sind so fein, dass sie an Goldfäden erinnern. Stroh kann auch geglättet, gefaltet oder eingefärbt werden. Aus Stroh können Bilder entstehen, die Intarsien gleichen.

 

Kasten Strohhandwerk

Die Strohsterne von Edith Lang können übers Internet, strohsterne.ch., bestellt werden. Auf ihrer Internetseite findet sich eine exakte, mit Fotos illustrierte Anleitung, zur Herstellung eines grossen Strohsterns. Edith Lang gibt auch Kurse. Besuchen Sie das Atelier in Muri am Verenagässli 2. Bitte telefonisch Kontakt aufnehmen (056 664 34 46), ein Besuch ist jederzeit möglich.

 

Die grosse Dame des Freiämter Strohhandwerks ist die mittlerweile 91-jährige Anna Hoppler aus Rotttenschwil. Sie hat die Kunst Sterne aus Stroh zu flechten zur Perfektion gebracht. Jeder Stern von Anna Hoppler hat seine eigene Persönlichkeit und Ausstrahlung. Mit absoluter Sicherheit und einem ausgeprägten Schönheitssinn schuf die Strohflechterin Kunsthandwerke, die zeitlos sind und Jahrhunderte überdauern.

 

Das «Strohmuseum im Park» in Wohlen widmet sich der Geschichte der Freiämter Hutgeflechtindustrie. In keiner anderen Region der Welt sind im 19. Jahrhundert solch feine Hutgarnituren hergestellt worden wie im aargauischen Freiamt. Nebst der umfangreichen Sammlung, versteht sich das Museum als ein Ort zum Lernen. Sie fördert das Kunsthandwerk durch Kurse, Workshops und Wechselausstellungen mit zeitgenössischen Stroharbeiten. Strohmuseum im Park, Bünzstrasse 5, Wohlen (056 622 60 26), strohmuseum@wohlen.ch.

Zurück
Zurück

50 Jahre Schönen

Weiter
Weiter

Hristos se rodi!