Katzenmusikmarsch gehämmert

Trommeln bis Schattdorf zu hören

Eingangs Erstfeldertal, unterhalb des Trinkwasser-Reservoirs Flüe, trifft sich die Schattig-Chatzämusig im Schopf des Bauern Josef Gisler. Werkzeugkisten, Bretter und Militärdecken bilden eine improvisierte Sitzgelegenheit, ein Elektroheizgerät bläst warme Luft in den Raum. Annelies und Joe Zgraggen haben die Werkstatt mit Girlanden und Clownmasken dekoriert, Kuchen bereitgestellt und Kaffee ge-kocht. Auf der Werkbank stehen Pommes Chips, Weisswein und Bierchen bereit. Annelies Zgraggen hat sich sogar geschminkt, sie trägt eine pinkfarbene Perücke und hat sich die Wörter «Schattig Fasnacht» auf eine Backe gepinselt. «Seit 32 Jahren sind wir jedes Mal dabei», sagt der 72-jährige Joe Zgraggen. Er besorgt die inzwischen rar gewordenen Petrolfässer. Fündig wurde er bei den Firmen GIPO und STRABAG. Für den Notfall hat er in einem Stall 15 Fässer gelagert. «Wir sind die einzige Katzenmusik im Kanton Uri, die jedes Jahr neue Instrumente hat», erzählt Zgraggen und lacht. Geübt wird nicht: «Sonst denken die Leute, wir seien aus dem Konzept.» Es gibt keine Vereinsmeierei, keine Statuten, keinen Vorstand, keine Mitgliederbeiträge, nur eine Kasse zur Deckung der Unkosten steht be-reit. Jede und jeder zahlt, wie viel sie/er will.

Der Standort Flüe ist gut gewählt – von hier, 150 Höhenmeter über Erstfeld, verbreitet sich der Schall optimal. «Am besten tönt es, wenn es richtig kalt ist», so Zgraggen. «Der Talwind aus dem Erstfeldertal trägt den Schall sehr weit. Bei Föhn hört man uns sogar bis Schattdorf.» Annelies Zgraggen schwärmt: «Am schönsten ist das Trommeln im Schneetreiben!»

 

Jedes Jahr neue Instrumente

Die Schattig-Katzenmusik ist ein wichtiger Treffpunkt, einige treffen sich nur an dieser Fasnacht. Es gibt viel zu erzählen. Die meisten, wie der Pfarrer von Erstfeld, Viktor Hürlimann, sind seit langem dabei. Um 19.45 Uhr ist die kleine Werkstatt mit 24 Personen gut gefüllt. Der jüngste Fasnächtler, Marc Zgraggen, ist 12 Jahre alt, der älteste, Otto Furrer, 83. Er stellt die vielen Holzschlegel her.

Kurz vor 20 Uhr hält Joe Zgraggen eine kleine Ansprache und fügt hinzu: «Wir beginnen erst mit Trommeln, wenn es in der Kapelle z Bättä gliitet het.» Kurze Zeit später gibt Michael Stadler, anstelle des abwesenden Dirigenten Michi Gisler, mit der Trillerpfeife das Zei-chen zum Aufbruch. Man stopft sich Watte in die Ohren, nimmt zwei Holzschlegel und geht zu den leuchtend roten und blauen Petrol-fässern, die links und rechts der Strasse ins Erstfeldertal aufgestellt sind. Michael Stadler und Joe Zgraggen machen sich mit Vor-schlaghämmern beim grossen Tank bereit. SCHATTIG ist mit Grossbuchstaben auf den Tank gemalt. Damit es lauter tönt, hat er keinen Boden. Ein 500-Watt-Bauscheinwerfer beleuchtet die Szenerie.

Philipp Esthermann schlägt mit dem Eisenfäustel gleichmässig auf einen frei hängenden Eisenbahnpuffer. Der helle Klang – ding, ding, ding – gibt den Takt vor. Nach dem dritten Schlag setzen die Trommler ein. Die Melodie des Katzenusikmarschs haben alle im Kopf. Tä, tädä, tädädädä Tä - tä - tädätä - Tä - dä... Und immer wieder, bis es richtig einfährt. Mächtig dröhnt der Tank, die wuchtigen Schläge der Vorschlaghämmer schmerzen in den Ohren. Es macht allen sichtlich Spass auf die Fässer einzudreschen. Unermüdlich, immer im Takt, ernst und konzentriert. Geredet wird nicht, Zuschauer gibt es keine. Nach 15 Minuten ist der Spuk fürs erste vorbei. Die Fässer sind be-reits voller Dellen und Beulen. Insgesamt drei Mal wird das Lärmritual zelebriert, dazwischen wärmt man sich im Schopf auf, geniesst das Zusammensein.

Punkt 22 Uhr ist Schluss, die Fässer werden von der Strasse gerollt und am Strassenbord in einer Kurve deponiert. Schön wars. Man trifft sich anschliessend im «Ticino». Dort wird bis 3 Uhr früh gefeiert. Noch zweimal wird auf der Flüe mächtig Lärm gemacht, am Mitt-woch 31. Januar und am Samstag, 3. Februar. Danach ist für die Schattig-Katzenmusik die Fasnacht vorbei, die Fässer werden ge-presst und recycelt. Joe Zgraggen wird sich im Dezember auf die Suche nach neuen Petrolfässern machen: Für die einzige Katzen-musik im Kanton Uri, die jedes Jahr neu instrumentiert wird.

 

Erfrischend unkonventionell

Bei der Schattig-Katzenmusik geht nur um eines: um kultivierten, archaischen Lärm, ohne Trommeln, Pauken, Posaunen und Trompe-ten. Die Schattiger sind stolz auf ihr Brauchtum. Die Idee hatten ein paar Erstfelder Schulbuben Anfang der 1930er-Jahre: eine Katzen-musik ohne traditionelle Instrumente. Sie sammelten alte Pfannen, Sägeblätter und Petrolfässer. Mit Fäusteln und Holzhämmern schlu-gen sie auf diesen ungewöhnlichen Klangkörpern den Katzenmusikmarsch. Bis heute ist die Schattig-Musik dieser Idee treu geblieben. Auf der Suche nach dem optimalen Klang wechselten die Schattiger ihren Spielplatz mehrmals: 1934 verlegte man das Trommeln unter die grosse Linde in Marty’s Weidli. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte die Katzenmusik beim Jützstein in der Brüüchengand, später auf einem Felsvorsprung. Seit 1984 befindet sich der Trommelplatz auf der Strasse ins Erstfeldertal, unterhalb des Wasser-reservoirs Flüe. Noch Anfang der 1990er-Jahre durften nur Erstfelderinnen und Erstelder mitmachen, die auch im Ortsteil Schattig wohnten, heute sind auch viele vom Dorf dabei. Die Tradition des Spielens in der Brüüchengand wird von den Jungen fortgesetzt. Sie spielen dort ab Dreikönigen jeden Donnerstagabend bis zum «Schmutzigä Donschtig».

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Neuer Lawinenwinter?