36 KönigInnen unterwegs
«Der legendäre Beck Brosi vom Urnerboden war mein Grossvater», erzählt Karl Gisler. «Mein Vater Josef, aufgewachsen auf dem Urnerboden, eröffnete in Bürglen die Bäckerei Gisler, die ich mit meiner Frau Maria von meinen Eltern übernahm und später mit meinem Bruder Josef bis 2002 führte.» Tausende Dreikönigs-Kuchen hat Karl Gisler in seinem 30-jährigen Berufsleben gebacken, sechs-, acht und zehnteilige. Nie habe eine Dreikönigsfigur gefehlt. Geblieben ist seine Faszination für Traditionen, Brauchtum und für die Musik. Seit Jahren leitet er einen kleinen Chor, spielt Keyboard und ist einer der Organisten der Pfarrkirche Bürglen. 12 Jahre war Karl Gisler mit seiner Frau Maria für die Organisation des Sternsingens Bürglen verantwortlich.
Sternsingen in Bürglen neu belebt
Anfang 2000 drohte der Brauch in Bürglen zu verschwinden, nur noch eine Gruppe von Sternsinger war unterwegs. «Das tat mir weh, dieser Brauch durfte nicht untergehen. Darum unternahm ich alles, um das Sternsingen in Bürglen neu zu beleben», erzählt Karl Gisler begeistert. «Mit Flyern und Plakaten wäre dies kaum gelungen, ich musste die Kinder und Jugendlichen selbst überzeugen.» 2004 nahm Karl Gisler mit der Schulleitung Kontakt auf und erhielt die Erlaubnis, den Schülerinnen und Schüler der 3. bis 6. Klasse das «Projekt Sternsingen Bürglen» vorzustellen und sie zum Mitmachen zu motivieren. Dies gelang und es ging stetig aufwärts: «2005 haben bereits 35 Kinder mitgemacht, im folgenden Jahr waren es schon 50, im dritten Jahr über 80», sagt Maria Gisler. Zwischen Weih-nachten und Neujahr gabs haufenweise Arbeit: Mehrmals nähte sie mit der Schneiderin Marie-Theres Schuler Kleider und Kopf-bedeckungen.
Lebendige Tradition
Partner des Sternsingens in Bürglen ist das Katholische Hilfswerk Missio, das mit dem gesammelten Geld der Schweizer Sternsinge-rinnen und Sternsinger seit 1989 weltweit Projekte zugunsten benachteiligter Kinder und Jugendlicher unterstützt. Mit der Sammlung 2018 fördert Missio im Kampf gegen die Kinderarbeit Schulprojekte im indischen Uttar Pradesh. Es ist Karl Gisler ein gros-ses Anliegen die Sternsinger über die aktuelle Spendeaktion zu informieren und mit ihnen die Lieder zu proben.
Am 5. Januar um 16 Uhr segnet Pfarrer Wendelin Bucheli die Sternsingergruppen in der Kirche und sendet sie aus. Begleitet werden die drei Könige vom Sternträger und weiteren Sängerinnen und Sängern, sowie von zwei erwachsenen Personen. Mit Kleinbussen fahren sie, ausgerüstet mit einer Zwischenverpflegung (Mutschli und Schoggistängeli), Liederheften, Kreiden, Sammelbüchsen und Segens-kleber, in verschiedene Bürgler Quartiere. Die Sternsinger-Gruppen sind an zwei Abenden unterwegs, die einzelnen Routen sind exakt festgelegt.
Mit ihren Liedern bringen die Sternsinger den Menschen Glück und Segen fürs neue Jahr, sammeln für benachteiligte Kinder und befestigen einen Kleber mit dem Segen «Christus Mansionem Benedicat» (CMB = Christus segne dieses Haus) und der Jahrzahl auf der Haustüre.
Am 6. Januar, um 19 Uhr, begeben sich alle Sternenkinder mit ihren Begleitpersonen zum Gottesdienst in die Pfarrkirche Bürglen. «Nach dem traditionellen Schlussfoto, gibt’s anschliessend für alle Kinder im Schulhaus Hot Dogs und Getränke. Es wird viel erzählt und gelacht», freut sich Karl Gisler. «Diese gemeinsame Abschlussfeier ist uns wichtig. Wir danken den Kindern, sie haben viel geleistet, waren über sechs Stunden unterwegs. Jedes Jahr sammeln unsere Sternsinger rund 12000 Franken.»
2017 durften Karl und Maria Gisler die Gesamtleitung des Sternsingens an Claudia Gisler, Hanni Gisler, Ruth Gehrig und Priska Röthlin weitergeben. «Wir sind sehr glücklich, dass diese vier Frauen mit viel Engagement die Tradition », sagt Maria Gisler.
Dreiköngisnacht voller Wunder und Gefahren
Am 6. Januar feiert die Kirche die Erscheinung des Herrn (Epiphania), das älteste Fest. Auf einem Mosaik aus dem 6. Jahrhundert in Ravenna findet sich eine Abbildung der drei Könige Kaspar, Melchior und Balthasar. C+M+B, ihr Monogramm, sah man im Mittelalter als magischen Zeichen gegen alle bösen Mächte, das selbst diejenigen verstanden, die weder lesen noch schreiben konnten. Im Volksglauben sind die heiligen Dreikönige zwischen Weihnachten und Epiphania persönlich unterwegs.
Im bäuerlichen Leben spielten die Nächte des 5. Und 6. Januars eine wichtige Rolle. Die Dreikönigsnacht galt als gefährlichste der 12 Rauhnächte (26. Dezember bis 6. Januar). In den Lüften trieben Geister, wie die hässliche Perchta, ihr Unwesen. Um sie zu besänftigen, wurden umfahrenden Geisterwesen Speisen bereitgestellt. In der Steiermark fütterte man den Wind, damit er übers Jahr keinen Scha-den anrichte. Es geschah auch Wundervolles: In der Dreikönigsnacht konnten Tiere reden und man war überzeugt von der Heilkraft des Wassers, das man um Mitternacht aus dem Brunnen schöpfte.
Am Vorabend des Dreikönigtages wurden in den Kirchen Wasser, Salz und Kreide geweiht. Sie dienten der Abwehr von Dämonen und als Schutzmittel für Mensch und Vieh. Mit dem geweihten Wasser besprengte man Wohnräume, Vieh, Ställe und Felder. Der Glauben, wer Dreikönigswasser trinkt, wird nicht krank, war weit verbreitet. Einer kranken «Kalberkuh» mischte man Dreikönigssalz in einen Kräutertrank. Mit einer geweihten Kreide wurde eine Linie (Bannkreis) rund um Scheunen gezogen.
Am 6. Januar segnet der Bürgler Pfarrer Wendelin Bucheli im Hauptgottesdienst das Dreikönigswasser – es wird in Flaschen abgefüllt und nach Hause genommen. Ebenfalls begehrt sind 100 Säckli mit Weihrauch, einer Kreide, einem Kohlestücklein und einer Anleitung mit Gebet für den Haussegen.