Alles war streng geheim
Wer auf der Furkapassstrasse unterwegs ist, hat sie vielleicht schon bemerkt, die alphüttenähnlichen Gebäude unterhalb des geschlossenen Hotels Galenstock. Die Fenster sind aufgemalt, die Mauern aus meterdickem Beton. Vis à vis des Hotels befindet sich der Eingang zum ehemaligen Artilleriewerk Fuchsegg. Was liegt dahinter verborgen?
Arbeit während des Krieges
«Ich kann mich an die jungen Männer erinnern, die auf der Strasse diskutierten, zusammen Lieder sangen oder zum Jassen in den Spielstuben hockten», sagt Erich Nager, ehemaliger Zeughausangestellter aus Realp. «Die Jungen hatten nichts zu tun. Es gab bei uns kaum Arbeit ausserhalb der Landwirtschaft. 1942 wurden die Festungswerke Gütsch und Bätz erweitert, die Furka-Oberalp-Bahn elektrifiziert und wintersicher ausgebaut, und in Realp beim Hotel Galenstock sprengten Mineure den ersten Stollen: Für 15,4 Millionen Franken entstand die Artilleriefestung Fuchsegg mit Panzertürmen, unterirdischen Munitionsstollen und Kavernen.»
Bis zum Ende des Kalten Kriegs
Das Artilleriewerk Fuschegg hatte den Auftrag die «toten Räume» vor dem Artilleriewerk Grimsel zu decken und mit seinen vier drehbaren 10,5 cm-Panzerturmkanonen in den Raum San Giacomo und in die Zufahrt zum Grimselpass zu schiessen. Angriffe von deutschen und italienischen Truppen wurden erwartet. Am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg vorbei, im Herbst 1945 war das Artilleriwerk Fuchsegg definitiv einsatzbereit.
Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgte der «Kalte Krieg», der Konflikt zwischen Kapitalismus und Kommunismus, unter der Führung der Supermächte USA und der Sowjetunion. Das Aufeinandertreffen zweier gegensätzlicher ideologischer Systeme wirkte sich auch auf die Schweizerische Sicherheitspolitik aus. Die Schweiz rüstete auf, hielt an der bewaffneten Neutralität fest. Militärische Anlagen, wie die Fuchsegg, unterlagen der absoluten Geheimhaltung.
Im Werk mit Artillerie-, Fliegerabwehrkanonen und Maschinengewehrstellungen konnten in den unterirdischen Stollen bis zu
400 Soldaten einquartiert. Frischluftzufuhr, Heizung, Werkstätten, Telefonzentrale, Vorratsräumen, Bäckerei, Küche, Aufenthalts- und Schlafräume ermöglichten autarke Kampfeinsätze unter Tag.
Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 verlor auch die Gotthard-Festungen an Bedeutung.
Am 1. Januar 1995 wurde das Artilleriewerk Fuchsegg deklassifiziert, die Geschütze und alle unterirdischen Anlagen ausgebaut.
Niemand durfte etwas wissen
«Alles war geheim», erzählt der ehemalige Festungswächer Josef Baumann aus Göschenen. «Ich musste mich beim Festungswachtkorps schriftlich zur Geheimhaltung verpflichten. Weder meine Frau, noch meine Kinder durften erfahren, was ich die ganze Zeit tat. Auch im Dorf hätten viele gerne gewusst, was im Innern der Fuchsegg vor sich ging. Angesprochen wurde ich nie.»
Josef Baumann, 1946 geboren, war von 1966 bis zu seiner Pensionierung 2005 Festungsangestellter. 39 Jahre lang. Aufgewachsen ist er im Dörfli, Meiental. Er war erst vier Jahre alt, als sein Vater starb. „Unsere Mutter war allein mit drei Kinder. Von der Witwenrente konnten wir nicht leben. Der Garten, eine kleine Landwirtschaft mit ein paar Geissen, Schafen und Kühen musste zum Leben reichen. Im gleichen Haus wohnten zwei ledige Brüder des Vaters, Kaspar und Anton. Sie führten den Bauernbetrieb.“
1966, nach der Rekrutenschule, arbeitete Josef Baumann fünfeinhalb Jahre bei der Festung in Unterägeri, dann im Festungswachkorps Andermatt. Lange hatte er auf diese Stelle gewartet. In Andermatt fühlte er sich zu Hause. Jede freie Minute halfen Josef Baumann und sein Bruder Kaspar den Onkeln auf dem Bauernbetrieb im Meiental beim Holzen, beim Heuen oder beim Alpauftrieb. Im Lawinenwinter 1984 starb Onkel Kaspar in der Lawine. Er war am Hirten in einem Stall, der als sicher galt.
Schöner Zusammenhalt
Josef Baumann erinnert sich gerne an seine Zeit als Festungswächter: «Für das Artilleriewerk Fuchsegg waren neun Männer des Festungswachkorps Andermatt zuständig. Im Sommer unterhielten wir die Unterstände in Realp, Tiefenbach, in Wytenwassern, Schweig, Oberchäseren, und die Gebirgsbaracken auf dem Cavannapass. Am liebsten war ich aber auf der Fuchsegg. Wir waren den ganzen Winter dort. Die Unterkünfte, der Maschinenraum, die Munitionsaufzüge, die Geschütztürme, die Telefonzentrale – alles musste funktionsfähig sein für die Truppen, die im Sommer kamen. Geschlafen und gegessen haben wir im Wachthaus. Von dort hat man einen wunderbaren Ausblick ins Tal.»
Im Winter war die Passstrasse geschlossen und die Anlage nur auf Skiern zu erreichen. «Montag und Dienstag waren wir auf der Fuchsegg. Am Dienstagabend durften wir nach Hause zu unseren Familien. Von Mittwochmorgen bis Freitagabend waren wir wieder auf der Fuchsegg. Teigwaren, Reis, Büchsen etc. hatten wir eingelagert. Die frischen Lebensmittel kauften wir jeweils am Mittwochmorgen in Andermatt. Fleisch bei der Metzgerei Muheim oder der Metzgerei Christen, Brot bei den Bäckereien Danioth und Baumann, Gemüse bei Fränggi Regli. Die frischen Lebensmittel packten wir in unsere Rucksäcke. In Realp schnallten wir die Felle auf unsere Skier und stiegen zur Fuchsegg. Manchmal machten wir Wettrennen, wer am schnellsten oben war. 32 Minuten war der Rekord. Am Abend haben wir gejasst, das Essen war gut, oft haben wir lange miteinander geredet. Wir hatten einen schönen Zusammenhalt.»
Es kam öfters vor, dass die Festungswächter wegen Lawinengefahr nicht auf die Fuchsegg konnten. Dann arbeiteten sie in Andermatt in der Kaserne. «Früher waren die Festungswächter wie im Aktivdienst pausenlos das ganze Jahr im Einsatz, sogar an Weihnachten», erzählt Josef Baumann. «Als ich 1971 zum Festungswachkorps kam, war dies nicht mehr der Fall. Über Weihnachten und Ostern waren aber immer zwei Festungswächter auf Piket. Sie mussten zur Fuchsegg auf Patrouille.»
Ohrenbetäubender Schiesslärm
«Wenn jeweils im Sommer die Rekrutenschule und die WK-Soldaten der Fest Art Kp II/7 einrückten, haben wir die Fuchsegg der Truppe übergeben. Der Geschützmechaniker war immer im Werk, wir anderen hatten Piquetdienst. Von uns war immer einer oben, auch in der Nacht, um im Notfall zu helfen. Zum Beispiel, wenn der Strom ausfiel. Geschossen wurde über die Furkapassstrasse Richtung Wytenwasserental. Die Autos wurden aufgehalten, die Strasse während des Schiessens gesperrt. Der Lärm der vier Kanonen war ohrenbetäubend.»
Vor 23 Jahren wurde das Artilleriewerk Fuchsegg entmilitarisiert – das gibt Josef Baumann zu denken: «Man weiss nicht, ob die Festungen nochmals gebraucht werden, ob es richtig ist, alles verganden zu lassen. Wenn wieder ein Krieg ausbricht, gibt’s einen Weltuntergang.»