Alte Fasnacht Flüelen
«Zu spät kommen, wie die alte Fasnacht», ist ein gängiges Sprichwort. Es trifft jedoch nicht auf Flüelen zu. «Die Fasnacht beginnt in Flüelen mit der ‹Königskatzenmusik› bereits am 6. Januar und geht mit der alten Fasnacht, am Samstag nach Aschermittwoch zu Ende. Damit haben wir in Flüelen die erste und letzte Katzenmusik im Kanton Uri – und darauf sind wir stolz», sagt Peter Wipfli vom Verein Fidelitas Flüelen.
Letztes Mal Katzenmusik
Samstag, 17. Februar: Es ist kalt und es nieselt leicht, als sich die Fasnächtlerinnen und Fasnächtler bei der Garage Sigrist treffen. Die meisten tragen Alltagskleidung, einige sind verkleidet, die sieben Männer des Fidelitas-Vorstands, standesgemäss im Frack und fünffarbiger Narrenkappe mit Glöckchen. Kurz nach 19 Uhr formiert sich der Zug aus Bläser, Trommler und Pauker. «Seid ihr bereit?», ruft der Katzenmusikdirektor Peter Wipfli. «Los, eins, zwei drei», Wipfli hebt und senkt den zwei Meter langen Taktstock mit schwarzer Katze und einem roten Lämpchen, dem Katzenauge. Das rote Licht tanzt auf und ab, die Bläser setzten ein. Drei Takte mit Bläser, drei Takte nur mit Trommeln und Pauken, so wird der Katzenmusikmarsch in Flüelen gespielt. Im Licht weniger Strassenlampen schlängelt sich der Zug langsam durch die schmale Ochsengasse, biegt ein in die Dorfstrasse. Einzelne Zuschauer stehen an der Strasse, da und dort öffnen sich Fenster, die pensionierte Serviertochter Erna Fedier winkt den Katzenmusikanten zu. Der Zug passiert die «Linde», die «Rose» und zieht weiter Richtung «Schützenstube». Am Ende der Dorfstrasse, beim Bauernhof Reider, kehrt die Katzenmusik um.
Nach der halbstündigen Kaffeepause im Restaurant Schützenstube machen sich die Fasnächtler auf den Rückweg. Diesmal bleiben die Fenster geschlossen, nur im Restaurant «Gotthard» wundern sich einige chinesische Touristen über dieses seltsame Ereignis. Einer filmt die Szenerie mit dem Handy. Bei der Garage Sigrist ist die Tour um 20.30 Uhr zu Ende, die Instrumente werden im Luftschutzkeller des Schulhauses Matte versorgt – und die alte Fasnacht geht in der «Schützenstube» weiter.
Fest in der «Schützenstube»
Die Beiz ist noch immer fasnächtlich dekoriert – Plastic-Clowns hängen an den Wänden, Clown-Girlanden an der Decke. Auf dem riesi-gen Kranzkasten der Schützengesellschaft, kaschiert mit gelbem Papier und grünem Lamettavorhang, hängt ein Zirkus-Knie-Plakat.
33 Personen waren an der letzten Katzenmusik dabei, ein paar Unentwegte aber fehlten: zum Beispiel die Ehrenmitglieder Poldi Mauri und Rosmarie Stadler. Der betagten Fasnächtlerin fehlt zwar die Kraft zum Trommeln, sie begleitet aber gewöhnlich jede Katzenmusik, gestützt auf ihren Nordic-Walking-Stöcken.
Die Wirtin Irma Méroz verteilt Teller mit herrlich duftenden Älplermagronen und es wird kräftig zugelangt. Bei der Theke spielt das Ländlertrio «Echo vom Gitschli», darüber hängen ein Wimpel des FC Basels und ein Fanschal des Eishockey-Clubs Ambri-Piotta: «Gioventu – Biancoblu».
Bereits sind die ersten Teller leergegessen und Irma Méroz schöpft auf grossen Platten den Nachschub. Inzwischen ist in der Beiz das Stimmengewirr angeschwollen und das Ländlertrio «Echo vom Gitschli» reiht Tänzli an Tänzli. «Das ist das Schöne an der Flüeler Fas-nacht», ruft der 44-jährige Lukas Eggimann. «Die Jungen machen mit, so geht dieser Brauch in unserem Dorf nicht verloren.»
Löffel mit dem Löchern
Edi Rauch, Wirt der «Linde» und Ehrenmitglied der Fidelitas, sitzt am Stammtisch, isst eine Portion Älplermagronen. 27 Jahre kochte er für die Katzenmusiker an der alten Fasnacht die legendären Linden-Magronen. Das deftige Rezept erforderte einen starken Magen: «Ich habe genug Anken in die Magronen getan, damit es genügend Boden gibt», erzählt Edi Rauch und lächelt. Einigen Fasnächtlern war das zu viel des Guten. Vor der alten Fasnacht bohrten sie Löcher in einen Suppenlöffel und nahmen ihn mit zum Magronenessen. So konnte der Anken heraustropfen... Rauch erinnert sich auch an die Polizeistunde: «Um 24.00 Uhr mussten wir das Restaurant schliessen oder spätestens bis 21.00 Uhr auf dem Polizeiposten anrufen und Verlängerung eingeben. Manchmal haben wir es nicht gemeldet. Dann hat man einfach im Restaurant das Licht gelöscht und war ein bisschen ruhig.»
Kurz vor Mitternacht geht’s in der «Schützenstube» hoch zu und her. Es wird gefeiert, auf den Tischen getanzt und gesungen: «Uf em Stoos ob Schwyz», «Uberä Chlausä», «Urnerbodä-Kafi»... Um 2 Uhr morgens packen die Musiker ihre Instrumente ein und die letzten Fasnächtler gehen nach Hause.
Alte Fasnacht
Die alte Fastnacht ist ein Überbleibsel des ursprünglichen Beginns der 40-tägigen Fastenzeit. Das neue Anfangsdatum wurde vom Papst Urban II. auf der Synode von Benevent 1091 festgesetzt. Die fünf Fastensonntage wurde vom Fastengebot gestrichen. Damit die Fastenzeit gleich lang blieb, wurde der Beginn um fünf Tage vorverlegt: Die Fastenzeit begann nun am Aschermittwoch. In einigen Gegenden, im Voralberg, in Süddeutschland und der Schweiz, vor allem in Basel, hat sich die alte Fasnacht erhalten. Mit dem Bilder-sturm vom Aschermittwoch 1529, der Zerstörung von Heiligendarstellungen in Gotteshäusern, wurde Basel zur reformierten Stadt. Das Fastenobligatorium wurde abgeschafft und die Fasnacht verboten. Anders als in anderen reformierten Orten konnte die Obrigkeit in Basel das Fasnachtsverbot nicht durchsetzen. Zu eng war der Fasnachtsbeginn mit den militärischen Musterungen (Werben von Sol-daten), am Montag nach Aschermittwoch verbunden. Noch heute beginnt an diesem Tag (Hirsemontag) die Basler Fasnacht, die grösste Fasnacht der Schweiz. Das militärische Element der Basler Fasnacht, die Umzüge mit Trommeln und Pfeifen, erinnern an die Musterungen aus dem Mittelalter.