Katzenmusik verbindet
Familiäre Fasnacht
8. Februar 2018, Tagwache, 5 Uhr früh: eine Rakete schiesst in die Luft und explodiert mit lautem Knall. Sofort setzt die Katzenmusik ein. Anderthalb Stunden scheppert Katzenmusik durchs Dorf, prallt von den nahen Felswänden mehrfach als Echo zurück – als wären mehrere Katzenmusiken gleichzeitig unterwegs. In keiner Urner Gemeinde klingt der Katzenmusikmarsch derart mächtig und magisch. «44 waren dieses Jahr an der Tagwache, 78 beim Eintrommeln», resümiert der Präsident des Faschingsclubs Göschenen, Hanspeter Furger. Es wird gezählt – Göschenen ist stolz auf diese Zahlen. Und weiss sich zu helfen: Weil im Winter sämtliche Restaurants schlies-sen und das Hallenbad zum Mehrzweckgebäude umgebaut wird, hat der der Vorstand des Faschingsklubs mit ein paar Jungen die Fasnachtsbeiz im Schulhaussaal eingerichtet. Die Mehlsuppe kocht Beat Walker vom Gourmetrestaurant «im Feld», Gurtnellen, das Brot hat der 79-jährige Göschener Hans Ryser gebacken. Die Garage Zgraggen und das Kraftwerk Göschenen AG offerieren an der mor-gendlichen Tour ein Apéro und einen Raum zum Aufwärmen. Im Kraftwerk lässt es die Katzenmusik richtig krachen – der 67 Meter langen Zugangsstollen verstärkt ohrenbetäubend. Nach einer halbstündigen Pause geht’s zum Bahnhof, entlang der Perrons und den ver-schneiten Geleisen, nur hört hier keiner mehr zu.
Göschener Lälli und Risottoessen
Viele helfen mit: Werner Imholz, leitender Angestellter beim Kraftwerk, layoutet den «Göschner Lälli». Die Verse schreibt seit Jahren Peter Fedier, ehemaliger Posthalter von Göschenen. Er kennt das Oberland wie kein zweiter: «Für den Zusammenhalt spielt die Kreis-schule Urner Oberland in Gurtnellen eine wichtige Rolle. An der Oberstufe lernen sich die Jungen von Göschenen, Wassen und Gurtnel-len kennen. Viele Pärchen haben später geheiratet. Ein Treffpunkt ist die Göschener Fasnacht.»
Seit 15 Jahren kochen Beat Furger, Hugo Gamma und Werner Jauch das sämige Safranrisotto mit Luganighe. Über 200 Portionen wer-den geschöpft, einige nehmen im Tupperware oder in der Pfanne das Risotto zum Aufwärmen nach Hause. Das Risottoessen ist der Höhepunkt des Schmutzigen Donnerstags. Mütter mit kleinen Kindern, Arbeiter vom Werkhof, Pensionierte, Fasnächtler aus Gurtnellen und die Katzenmusik füllen den Saal. An einem der Tische sitzt der Gemeindeschreiber Walter Baumann: «Die Katzenmusik verbindet. Ob du alt oder jung bist, links oder rechts stehst – jede und jeder ist zum Mitmachen eingeladen.» Baumann erzählt auch von früher, von den eleganten Fasnachtsbälle im Bahnhofbuffet in den 1970er-Jahren. Ballbesucher kamen sogar aus dem Tessin und im Dorf waren die Restaurants bis auf den letzten Platz besetzt. «Heute ist es nicht besser oder schlechter, es ist anders», stellt Baumann fest. Die Einwohnerzahl sank in den letzten 30 Jahren von 900 auf 450. Zurzeit ist sie leicht steigend – 500 Personen leben zur Zeit in Göschenen. Weggezogene kamen wieder zurück, Neue sind zugewandert, darunter auch Familien, die Ruhe in der Natur suchen. Auch einige Angestellte des Andermatt Swiss Alps Resorts wohnen hier. Neue Häuser wurden gebaut, ältere renoviert, einige Häuser stehen leer.
180 Personen nehmen am Kinderumzug teil, Mütter mit Kleinkindern, Schülerinnen, Jugendliche, an der Spitze des Zugs Hanspeter Furger, der Präsident des Faschingsclubs und Walter Baumann, der Gemeindeschreiber, verkleidet als Graf Dracula. Mittendrin auch Charlie und Rudi Reeck, Kinder deutscher Eltern, die im Juni 2017 nach Göschenen zogen.
Die Engadinerin Corina Gamma-Roner wohnt seit 2011 mit ihrer Familie in Göschenen. Als Präsidentin der Frauengemeinschaft mo-deriert sie nach dem Kinderumzug die Maskenprämierung im Mehrzweckraum und tanzt fröhlich mit den Kleinen eine Polonaise durch den Saal. Musik ab Band, Ententanz, Kulthit der 1970er-Jahre.
Katzenmusik im Aufwind
Der 40-jährige Präsident Hanspeter Furger, seit 20 Jahren im Faschingsclub Göschenen, erinnert sich: «In meiner Schulzeit ist die Katzenmusik beim Feuerwehrlokal abmarschiert, dann gings zur Gemeindekanzlei. Im ‹Gotthard› machten wir einen ersten Halt. Danach ging’s weiter zum ‹Rössli›, zur ‹Sagi›, zum ‹Löwen›, zur ‹Krone› und am Schluss landeten wir im ‹Buffet›.» Hanspeter Furger beobachtet eine Trendwende in der Dorffasnacht: «Die Guggenmusiken waren ab den 1990er-Jahren modern. Die Göschener ‹Spät-zinder› waren nur noch am Eintrommeln und beim Böög-Verbrennen im Dorf. Meistens spielte sie auswärts an verschiedenen Umzü-gen. Heute ist die Katzenmusik wieder im Aufwind. Die Jungen wollen sich nicht mehr binden und monatelang in einer Guggenmusik proben. Du kannst beim Eintrommeln ein Trümmeli nehmen und am letzten Tag zurückgeben.» Der Faschingsclub Göschenen hat ge-nügend Instrumente. Die Zeiten als die Älteren den Kindern die Trommeln wegnahmen und sich diese mit Büchsen behelfen mussten, sind endgültig vorbei.
Fasnacht in Göschenen – ein Rückblick
Göschenen war zur Zeit des Gotthardbahnbaus das bevölkerungsreichste Dorf im Kanton Uri (1880: 2990 Einwohner). 1894 wurde in Göschenen der Schmutzige Donnerstag mit einer respektablen Katzenmusik eröffnet. An der Katzenmusik nahmen Erwachsene und Kinder mit den verschiedensten Instrumenten wie «Tryychlä», «Schällä», Benzinfässer sowie Pfannendeckel teil. Die Petrol- und Benzin-fässer hatte man teilweise «gstipizt». Das Frühkonzert begann nach dem «Betenläuten» um 6 Uhr. In Göschenen wurden in die Tour der Katzenmusik auch die Eisenbahnanlagen einbezogen. Unter dem Bahnhofperron hatte es jeweils speziell «gut getönt». Bei strengen Wintern, wo der Schnee meterhoch lag, konnte jeweils nur hintereinander marschiert werden. Lehrer Hans Ziegler brachte gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Leben in das Dorfgeschehen von Göschenen. Er war Musikdirektor und leitete den Kirchenchor. Er begann auch das fasnächtliche Geschehen zu organisieren. So schrieb er den Bourbaki-Marsch in einer abgeänderten Fassung nieder.
1943 trat die Katzenmusik zum ersten Mal in der neuen Form auf. Instrumente waren nun hauptsächlich Trompeten, Trommeln und Pauken sowie «Tryychlä». 1944 wurde der Faschingsclub Göschenen gegründet. Am Umzug 1946 nahmen 61 Erwachsene und 70 Kinder teil.
(Aus: www.urikon.ch, Rolf Gisler: Fasnacht in Göschenen)