Bio war ein rotes Tuch

Vom Hilfsgärtner zum Biobauer

Luzia und Osi Ziegler wohnen im Wissig, Seelisberg, hoch über dem Urnersee, direkt am Weg der Schweiz. 2011 haben Luzia und Osi Ziegler den Bauernhof ihrem Sohn Rafael überschrieben. Und Osi Ziegler setzte sich mit dem Älterwerden neue Ziele: Nach einem SRK-Kurs arbeitet er seit 2015 als Pfleger von Demenzkranken im Altersheim Spannort, Erstfeld. 2010 gründete der ehemalige Sozialvor-steher und CVP-Landrat die Stiftung «Wohnen in Seelisberg» und realisierte mit der Stiftung 2018 sieben Alterswohnungen.

Osi Zieglers Biografie ist geprägt von Herausforderungen. Vor 48 Jahren zog der Bauernsohn von Seelisberg nach Altdorf und begann 1970 eine dreijährige Lehre als Kautschuk-Technologe bei Dätwyler. In einem grossen Allmendgarten in Attinghausen pflanzte er mit seiner Frau Luzia Gemüse, selbstverständlich biologisch. Nach acht Jahren kündigte er seine Antstellung bei Dätwyler: «Ich wollte in der Natur arbeiten und wurde Hilfsgärtner des Spitalgärtners Alois Baumann. Wir pflanzten biologisches Gemüse für die Spitalküche.»

 

Erster Biobauer im Kanton Uri

«Es war ein Schock als Vater 1980 plötzlich starb. Den Bauernbetrieb Wissig, den mein Vater als Nebenerwerbsbetrieb führte, habe ich mit meiner Frau auf Bio umgestellt», erzählt Osi Ziegler. Dafür brauchte der Urner Biopionier viel Mut: «Als Bauernbub aufgewachsen, hatte ich zwar praktische Erfahrung, aber keine landwirtschaftliche Schule besucht. Ich war einer der rebellischen 68er-Generation, trug lange Haare und galt für viele als Spinner. Und die damals noch stark ideologisch geprägte Biolandwirtschaft war für die Bauern ein rotes Tuch: Viele verurteilten unsere Anliegen als extrem und fühlten sich in ihrem Berufsethos angegriffen.»

Bereits als junger Biobauer hatte sich Osi Ziegler von der Spitzenzucht verabschiedet. Er setzte auf langlebige Kühe mit einer mittleren Milchleistung und einer guten Fruchtbarkeit. «Mit der Maxime, dass der Wert einer Kuh nur an ihrer Milchleistung gemessen wird, hatte ich Mühe.»

1982 gründeten mehrere Bauernfamilien unter ihnen Zieglers, Seelisberg und Furrers, Gitschenen die «Interessengemeinschaft Kräu-teranbau des Kantons Uri». 1986 wurde der Bergbauernbetrieb von Luzia und Osi Ziegler, als erster Bauernhof des Kantons Uri, von Bio Suisse zertifiziert.

 

Meilenstein 1992

«1991/92 stellten wir um auf Mutterkuhhaltung und gingen im Sommer 1992 das erste Mal im Etzlital mit unseren Tieren z Alp», erinnert sich Osi Ziegler. «Josef Gisler, Oberaxen, Michael Arnold, Acherli, Alois Gisler, Ratzi, Max Müller, Ratismatt und ich konnten von der Korporation Uri die Ausstäfel der Etzlialp bewirtschaften.» Eine Alp mit viel Gras, sehr hoch gelegen und aufwändig. Viele Gebäude waren zerfallen, der erste Hirt, Michael Arnold schlief im Zelt oder in einer der primitiven Hütten der 10 Stäfel. «Die Bristner haben uns 1992 bei der Alpfahrt ausgelacht: ‹Chemmid iär nur, chemmid iär nur, s nächst Jaar chemmid iär nimmä›, riefen sie uns zu.» Sie hatten sich getäuscht, die Biobauern kamen jeden Sommer wieder, bauten neue Hütten, 1994 im Felleli, später auf den Stäfeln Gulmen und Sellenen.

Die fünf «Etzli»-Bauern förderten den Erfahrungsaustausch. Treffpunkte waren die Arbeitstage auf der Alp: Beim gemeinsamen Essen nach dem Zusammentreiben der Tiere, dem Stafelwechsel oder dem Hagen blieb immer genügend Zeit für Gespräche. Die Förderung der Direktvermarktung war eines der grossen Themen. Die Bauern waren nun Unternehmer: durch den Direktverkauf erhielten sie die beste Wertschöpfung und es brauchte dank Mund-zu-Mund-Propaganda und einem wachsenden Kundenstamm kaum Werbung.

1994/1995 bauten Zieglers im Wissig einen Laufstall, gaben den Kräuteranbau auf, setzten auf «Ferien auf dem Bauernhof» und vermieteten eine Ferienwohnung. 1996 kam mit dem Umbau des alten Stalls das Angebot «Schlafen im Stroh» dazu. «Wir hatten keine Gelegenheit die Welt zu bereisen, die Welt kam zu uns», sagt Luzia Ziegler.

 

Vom Geisshirt zum Biobauern

Im Büroraum unter dem Dach des Stalles der Betriebsgemeinschaft Baumann/Schilter in Gurtnellen-Dorf brütet der Sekretär des Vereins Bio Uri, Martin Schilter, über seinen Akten. Ein kleiner Heizstrahler spendet etwas Wärme, im Winter sinken die Temperaturen oft unter null Grad Celsius. Der Freilaufstall von 2010 erfüllt sämtliche Anforderungen von BioSuisse bezüglich Einstreu, Gruppenhal-tung, Tageslicht und Freiluftgehege.

Martin Schilter ist nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sein Vater war Pöstler in Attinghau­sen. Erste Erfahrungen mit der Land-wirtchaft machte er auf der Göscheneralp: Vier Sommer war er Geisshirt bei Max Mattli.

Seit 1998 führt er mit seiner Frau Barbara den Biohof Halten in Gurtnellen-Dorf. 20 gämsfarbige Gebirgsziegen und 11 Kühe und 7 Rin-der und 4 Kälber stehen im Stall. Die Kälber trinken bei den Müttern, den Rest der Milch nimmt der Bauer.«Die Kälber sind so gesünder. Der feinstoffliche Austausch zwischen Kuh und Kalb funktioniert», erklärt Schilter. «Mutterunterstützte Kälberentwöhnung» nennt sich das.

Im Winter käst Barbara Schilter. Im Sommer verkauft sie nebst ihrem Bergkäse zahlreiche eigene und zugekaufte Hofprodukte sowie Käse von anderen Alpen in der Sennhütte am Arnisee. «Den Käse hole ich der Etzlialp oder in der Stössi» erzählt Martin Schilter. Er ge-niesse diese Ausflüge und die Gespräche mit den Älplern.

 

Gründung von Bio Uri 1998

Martin Schilter zeigt das Protokoll der Gründungsversammlung des Vereins Bio Uri: «Am 30. März 1998, um 20 Uhr begrüsst der landwirtschaftliche Berater Thomas Ziegler die Urner Biobäuerinnen -bauern zum 6. Treffen im Saal des Hotel Bahnhofs in Altdorf. Els-beth Arnold, Franco Cattaneo, Alois Gisler, und Franz Kempf werden als Vorstandsmitglieder, Osi Ziegler als erster Präsident gewählt.» 16 Biobetriebe tragen sich in die Vereins­liste ein und der Bauernverband Uri änderte seine Statuten, um Biobauern den Einsitz im Vorstand zu ermöglichen.

Seither hat sich die Anzahl der Urner Biohöfe bei knapp 50 Betrieben eingependelt. «Dieses Jahr haben wir 3 Umsteller, total sind im Verein 48 Betriebe», sagt Schilter. «Es harzt. Gerne hätten wir 50 bis 55 Betriebe dabei. Mit einem Anteil von 11,2 Prozent sind wir der kleinste Bioverein der Zentralschweiz.» Steigerungspotenzial wäre vorhanden: «Es gibt im Kanton Uri noch einige weisse Flecken. So haben wir in Göschenen, Wassen oder Meien keinen einzigen Biobetrieb», sagt Martin Schilter. «Viele Urner Berglandwirtschaftsbetriebe arbeiten bereits sehr naturnah. Sie müssten wenig verändern, um auf Bio umzustellen.»

 

Weltoffene Biobauern

Seit 2008 ist der jährlich im September stattfindende Biomarkt «O sole Bio» in Zug das Schaufenster der Zentralschweizer Biobauern. Im Zentrum stehen regionale Produkte, standortgerecht, ökologisch und fair produziert. Die breite Vielfalt, der Innovationsgeist und die weltoffene Grundhaltung der BioSuisse-Knospe-Betriebe sind an den 80 Marktständen sicht- und spürbar.

Gross geschrieben wird der Austausch unter den Urner Biobauern. Im Arbeitskreis «Pro Vieh», von Bio Suisse gefördert, treffen sich Urner Biobäuerinnen und Bauern jährlich zu Weiterbildungen auf einem Hof. Besondere Bedeutung hat jeweils die Stallbesichtigung: Die praxisnahe Wissensvermittlung über Tiergesundheit, Tierwohl, standortgerechte Zucht und zahlreichen weiteren Themen stossen auf grosses Interesse. «Wir müssen aber auch gegenseitig offen sein für Kritik», sagt Martin Schilter, «nur so können wir voneinander ler-nen und gemeinsam weiterkommen.» Die Biobauern geniessen diese Weiterbildungstage: es wird viel gelacht und angeregt diskutiert. Die Begeisterung für den Beruf ist spürbar und neue Pläne werden geschmiedet.

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