Augenschein am Rinistock
Was tun die Behörden für die Sicherheit, beispielsweise im Meiental? Wie steht es um die Lawinenverbauungen am Rinistock?
Zerstörte Schneebrücken
Dörfli Meien, 8. Oktober – ein strahlend klarer Herbsttag. Das Tal erfüllt vom Geknatter von Rotoren. Weit oben, im Gebiet der Lawinenverbauung Rinistock, schwebt in der Luft stehend, ein roter Helikopter. Mehrmals fliegt er defekte Teile der Lawinenverbauung ins Tal, deponiert sie auf dem Parkplatz bei der unterhalb der Meien Kapelle, fliegt wieder hoch. Dort liegt ein bereits ein Haufen verbogener Stahlträger und Stützen. Zerstört durch tonnenschwere Schneelasten des letzten Winters.
Die Flüge werden beobachtet, lösen bei einigen MeientalerInnen Ängste und Befürchtungen aus. Sind wir jetzt noch sicher?
Werden die defekten Teile ersetzt? Verkrümmte Eisenteile sind schon mehrmals ins Tal geflogen worden. Noch nie aber habe jemand gesehen, dass ganze Teile hinaufgeflogen wurden. Jetzt würden dort oben Stützen fehlen, das sind gefährliche Schwachstellen.
Wird das Tal aufgegeben? Sollen hier nur noch Bären und andere Wildtiere leben?
Es wird saniert
Lukas Eggimann leitet die Abteilung Naturgefahren des Kantons Uri. Sie ist zuständig für den Vollzug «der Gesetzgebung über
den Schutz vor Naturereignissen». Sie unterstützt die Verwirklichung von Verbauungsprojekten und deren Aufforstungen und ist verantwortlich für das Monitoring, die Kartierung und Beurteilung von Naturgefahren sowie die Führung des Ereigniskatasters.
Auf einer Karte im Massstab 1: 1000 zeigt Eggimann die Verbauungswerke am Rinistock. «Nach der Fertigstellung der Lawinenverbauung im Jahr 2002 führten wir bereits vier Mal Sanierungsarbeiten durch», sagt Eggimann. «Zerstörte Eisenträger
wurden ersetzt, Brücken instand gestellt, Betonfundamente saniert.»
Die Wucht des Schneedrucks ist gewaltig, Eggimann zeigt auf seinem Computer Fotos: Verformte, geknickte Schneebrücken, einzelne Elemente sind durch die Gewalt der Schneemassen vollständig zu Boden gedrückt. «Diese mussten wir 2016 abbauen. Sie standen in Runsen, wurden dort von Triebschnee zugedeckt und vollständig zerstört. Da es sich um Randwerke handelte, wurde damals gemeinsam mit der Gemeinde Wassen entschieden, diese vorderhand nicht zu ersetzen. 2016 wurden aber keine Werke zurückgebaut, sondern nur saniert. Es wurde also nicht nur Material runter, sondern auch raufgeflogen. Zudem lagerte in der Lawinenverbauung noch einiges Ersatzmaterial, welches diesen Herbst für Instandstellungsarbeiten verwendet werden konnte.»
Die Kräfte, die auf diese Rückhaltevorrichtungen wirken, sind immens. Sie hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab, zum Beispiel von der Schneemächtigkeit, der Schneebeschaffenheit, der Art des Untergrunds, der Hanglage und der Hangneigung. Am leichtesten wiegt Neuschnee mit 100 bis 200 kg pro Kubikmeter, am schwersten Altschnee mit einem Gewicht von 500 bis 800 kg pro Kubikmeter.
Begehung am Rinistock
Regelmässig werden die Lawinenverbauungen kontrolliert. Diesen Sommer hat Lukas Eggimann mit seinem Mitarbeiter René Planzer an einem Tag sämtliche Schneebrücken der Rinistock-Verbauung abgelaufen. Sie kontrollierten Stützflächen, Stützen, Verankerungen und Fundamente und dokumentierte Schäden mit der Kamera. Aufgrund dieser Bestandesaufnahme gab die Gemeinde Wassen als Bauherrin die Sanierung in Auftrag. Kosten: rund 60'000 Franken. 75 Prozent finanzierte der Kanton, 25 Prozent die Gemeinde.
Was der kommende Winter bringen wird, weiss niemand. Bereits wird auf meinem Natel die erste Meldung des SMS-Frühwarndienstes angezeigt: Sonntag, 28. Oktober 2018 – Die Strasse Meien–Färnigen ist ab sofort gesperrt. Neubeurteilung Morgen 29.10.2018 um 08.00 Uhr.
Lawinenverbauung Rinistock
Lawinenchronik, Aufzeichnungen von Karl Oechslin, 9.2.1984: «Lawine aus Rinichehle zerstört Haus und Stall im Feld und zwei Garagen bei Aderboden, sowie die Talstation der Seilbahn Tanzplatte. Im Feld werden 4 Kühe erschlagen. Östlich von Meien-Dörfli bricht die Mattallaui (Arnilaui) aus der Abflussrinne aus und verschüttet den ersten Stall südlich der Sustenstrasse. Kaspar Baumann wird dabei getötet.»
Das MeientalerInnen hatten genug. 1984 forderte «Pro Meien» die Verbauung des Lawinen-Anrissgebietes am Rinistock und die Sicherung der gefährdeten Strassenabschnitte zwischen Husen und Meien-Dörfli, sowie Aderbogen und Färnigen. 1988 war Baubeginn: 8,2 Kilometer Stahl-Stützwerke und 316 Meter Schneenetze wurden verbaut. An den Gesamtkosten von 18,5 Millionen Franken beteiligte sich die Gemeinde Wassen mit 6 Prozent, 13 Prozent bezahlte der Kanton, 81 Prozent der Bund. Nach der Fertigstellung 2002 wurde der Hang mit 12 000 Jungföhren aufgeforstet und die Seilbahn Meien-Rinistock 2012 abgebaut. Die Siedlung Meien-Dörfli gilt seither als sicher. Gefährlich bleibt der Strassenabschnitt Husen–Meien-Dörfli. Seit über 40 Jahren wartet das Meiental auf eine wintersichere Verbindung.