Brand im «Eidgenössischen»
Die Katastrophe von Mitholz
Am 19. Dezember 1947, um 23.30 Uhr explodieren oberhalb des Dorfes Mitholz im Berner Oberland 3500 Tonnen Munition im Munitionslager der Schweizer Armee. Zehn Minuten nach Mitternacht kommt es zur dritten und heftigsten Explosion, begleitet von 150 m hohen Stichflammen. Die Felswand, in der sich das Munitionsdepot befindet, stürzt ein, wobei sich etwa 250 000 Kubikmeter Gestein lösen. Die Bewohner stürmen aus ihren Häusern, einige sogar barfuss. Am nächsten Morgen wird das Ausmass der Katastrophe ersichtlich: 9 Tote, zahlreiche zerstörte Häuser und Scheunen. 200 Menschen sind obdachlos. Das Gebiet ist kilometerweit übersät mit Blindgängern, die das Depot ausgespuckt hat – von Kleinkalibergeschossen und Tretminen bis zu Splitter- und Fliegerbomben von
50 Kilogramm.
Der Brand in einem Munitionsstollen in Göschenen
Am 18. August 1948, 11 Uhr bricht im einem Munitionsstollen in Göschenen ein Brand aus. Zwei Arbeiter schliessen sofort die Panzertüren und lösen Alarm aus. Das brennende Muni-tionslager befindet sich gegenüber dem Bahnhof, nur 700 Meter vom Dorf entfernt. In Göschenen weiss niemand, was im Stollen gelagert ist. Artillerie-Munition? Handgranaten? Bomben? Die Angst nach der Katastrophe von Mitholz ist gross. Sirenen heulen. Züge werden gestoppt und die Reisende im Luftschutzstollen des Bahnhofs untergebracht.
Alle 1000 Einwohnerinnen und Einwohner müssen sich in Sicherheit bringen. Militär patrouilliert im menschenleeren Dorf. «Es setzte eine wilde, jedoch nicht unplanmässige Flucht Richtung Göscheneralp ein», schrieben die «Basler Nachrichten». «Die Leute trugen in den Armen, was sie in der Eile erfassen konnten, wusste doch niemand, ob der Brand nicht schwere Explosionen und die Zerstörung des ganzen Dorfes auslösen würde. Gemeindepräsident Grüter harrte, einem Kapitän auf sinkendem Schiffe gleich, im Dorfe aus.»
In Abfrutt suchen die Menschen Schutz in Häusern, Ställen, Kellern, hinter Steinblöcken. Züge werden gestoppt, die Gotthardbahnlinie und die Strasse gesperrt. Die Angst und Ungewissheit ist gross. Die Gemeinde versorgt die Evakuierten mit Suppe, Brot und Käse, aus dem Zeughaus werden Wolldecken herbeigeschafft.
Bundesrat Karl Kobelt, Vorsteher des Eidgenössischen Militärdepartments, trifft in Göschenen ein. «Bis zum späteren Nachmittag war zu vernehmen, dass sich das südlichste der 4 Munitionsmagazine vor der Station Göschenen in Brand befinde und dass von diesem fortwährend grosse weisse Rauchwolken ausgestossen werden», berichtet das Urner Wochenblatt am 21. August 1948. «Gegen 5 Uhr abends schien die Explosionsgefahr beseitigt. Die Bevölkerung wurde in das Dorf zurückgesandt und ab 6 Uhr konnten die Automobile wieder über den Gotthard fahren. Gegen 7 Uhr abends wurde auch der Zugsverkehr wiederaufgenommen.» Am Freitag ist der
Brand in Kammer 1 erstickt. Die Sicherheitsvorkehrungen für die Bevölkerung und die Verkehrsachsen werden noch einige Tage aufrechterhalten.
Meinrad Gamma erinnert sich und Ruth Indergand erinnern sich
Der 1934 in der Göscheneralp geborene Meinrad Gamma erinnert sich: «Wir wohnten damals im Gwüest, im Peters Huus. Die Bevölkerung wurde evakuiert und suchte Schutz in Abfrutt, in Wiggen im Grünenwald. Einige reisten nach Wassen oder Andermatt zu Verwandten. Andere suchten Zuflucht in den Tunneln der Schöllenenbahn. Niemand wusste, wie viele Tonnen Munition in den Bunkern lagerten. Alles war geheim, dies befeuerte die Gerüchteküche: von ‚Selbstentzündung des Pulvers’, von Sabotage, sogar von Brandstiftung war die Rede. Heute ist die Anlage nicht mehr in Betrieb.»
Für Ruth Indergand, Inhaberin des Mineraliengeschäfts am Bahnhof, ist der 18. August 1948 noch immer präsent: «Wir haben im Dorf dieses Ereignis immer wieder besprochen. Dadurch ist es mir geblieben. Es war letztendlich die Katastrophe von Mitholz, die uns verschont hat. Als kurz vor Mittag die Sirenen losgingen, war die Aufregung riesig. Wir flüchteten in den Visierstollen. Er war während des Zweiten Weltkriegs als Zivilschutzanlage ausgebaut worden. Bei uns befand sich auch eine holländische Reisegruppe des gestoppten Schnellzugs. Im Bahnhofbuffet Göschenen war das Mittagessen bereit. Gäste waren keine mehr da. Der Direktor des Buffets, Herr Gurtner, brachte uns das Essen samt Geschirr, Gläser und Besteck. Meine Mutter hatte Konserven dabei, die sie nun nicht brauchte.»
Die meisten Einwohner suchten Schutz in Abfrutt, die Polizei habe sie aus den Häusern geholt, weiss Ruth Indergand. «Doch sie flüchteten in die falsche Richtung, genau in der Schussrichtung des Munitionsdepots. Sie hätten nach Wassen oder Andermatt fliehen müssen. Danach durchsuchte die Polizei Haus für Haus, viele hatten vergessen den Kochherd abzuschalten. Das Elektrizitätswerk schaltete darauf im ganzen Dorf den Strom ab. Wir verliessen Göschenen am Abend und fuhren zu meiner Tante nach Andermatt.»
Hochexplosives Kupferazid
Experten des Bundes klärten die Ursachen des Brandes ab: Es gilt als sicher, dass sich bei Geschosszündern durch Korrosion
das hochexplosive Kupferazid bildete. Nach der Katastrophe von Mitholz werden Zünder und Ladung in Göschenen nicht mehr gemeinsam gelagert, es kam darum zu keinen grösseren Zerstörungen, sondern zu einer Deflagration, einer schnellen Verbrennung. Den Verantwortlichen werden «keine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit und Fahrlässigkeit» zur Last gelegt.
Explosion erschüttert Göschenen
Am 11. Juli 1973, um 15.30 Uhr explodiert in Göschenen eine unterirdische Pump- und Abfüllstation der Armee. Durch die Druckwelle werden die Panzertüren des Stollens weggeschleudert. In drei Fahrzeugen, die im Moment der Explosion die Reussbrücke ausgangs Dorf passieren, sterben zwei Menschen, 16 werden verletzt. An Gebäuden der Bundesbahn und der Furka-Oberalp-Bahn entsteht erheblicher Sachschaden. Hunderte von Fensterscheiben gehen in Brüche. Die Explosion wird als «Erdbeben» wahrgenommen.