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Bäuerliche Kultur

Das Schmücken der Kuh mit Blumen, Spruchtafeln und Fahrtreicheln gehört zum Ritual des Alpabzugs. Der Kopfschmuck besteht aus Blumen, Tannenreisig, Fähnchen oder farbigen Bändern, oft mit religiösen Symbolen wie kreuzförmig angeordnete Blumen oder Heiligenbildern angereichert. Die grossen, dumpf klingenden Fahrtreicheln mit ihren reichverzierten Treichelriemen sind der Stolz der Bauern. Szenen aus dem Alpleben, Stilisierte Ähren, Edelweiss, Blumen, Gämsen oder Wappen ranken sich um Sinnsprüche wie «Es walte Gott» oder «Gott schütze unsere Alp». Die Verehrung der Kuh ist jedoch keine Frage des katholischen Glaubens.

 

Kränze aus echten Blumen

Freitag, 7. September: Auf der Genossenschaftsalp Stössi im Maderanertal binden Olivia Frei, Zusenn, und Marian­ne Zellweger Enziane, Astern, Dahlien, Sonnenblumen oder Wachholderästchen im Dachboden der Käserei zu kleinen Sträusschen. Der Senn Rolf Suppiger befestigt sie auf die mit Rottannenzweigen grundierten Brettchen. 14 Täfelchen haben die drei am Boden ausgelegt. Sie sind für die Kühe des Hirten Sergio Poletti bestimmt. Kritisch begutachtet, werden einige mit Blumen oder mit Silberdisteln ergänzt.

«Es war ein schöner Alpsommer», resümiert die Älplerin Marianne Zellweger. «Gerne hätten wir etwas mehr Niederschlag gehabt. Aber andererseits suchten Viele wegen des heissen Wetters Erholung in den Bergen und kamen bei uns vorbei. Der Laden lief sehr gut.»

400 Kilogramm Joghurt produziert die Käserei jede Woche. Die Mutschli sind längst verkauft.

 

Zeit der Bilanz

Über die Internetplattform zAlp fand die Filmemacherin Olivia Frei den Weg auf die Stössialp. Es ist bereits ihr dritter Alpsommer. Zurzeit studiert sie an der Bauhaus-Universität in Weimar. Im Alpsommer sieht Olivia Frei Parallelen zum Filmemachen: «Man arbeitet in kleinen Teams und ist Tag und Nacht mit dem Projekt beschäftigt. Wenn nicht jeder fest an das Projekt glaubt, ist es zum Scheitern verurteilt.» «Das Zusammenleben auf engem Raum ist eine Herausforderung», ergänzt Marianne Zellweger.

«Du wirst zusammengeworfen und ab dem ersten Alptag muss das Team funktionieren.» Sie nimmt nach vier Alpsommer vor allem eines mit – viel Lebenserfahrung.

 

Schlichte Alpabfahrt

Samstag, 8. September: Um 8 Uhr treffen sich die Bäuerinnen und Bauern bei der Sennhütte in der Stössi. Ein strahlend schöner Tag, aber es ist kalt, in der letzten Nacht fiel Schnee bis auf 2000 Meter. Während die Bäuerinnen und Bauern und ihre rund 30 Helfer Kaffee trinken, diskutieren und die Kinder herumtollen, zählen der Alpvogt Walti Epp und der Kassier André Fedier im Keller die Käse für die Kästeilet: 609 Laibe Käse, jeder 4 Kilogramm schwer liegen im Keller. Das ist die Hälfte der Produktion, die andere Hälfte von insgesamt 5 Tonnen Alpkäse wurde bereits während des Sommers direkt verkauft oder unter den Alpgenossen aufgeteilt. Auszufüllen sind zahlreiche Formulare: Vor dem Alpabzug müssen sämtliche Tiere für die Tierverkehrsdatenbank TVD von der Alp abgemeldet und innerhalb von fünf Tagen auf dem Heimbetrieb wieder angemeldet werden. Jedes Tier hat einen Strichcode. Auf einer Liste des Alpvogts sind sämtliche Besitzer mit Adressen und Natelnummern und die Kühe mit «richtigen» Namen aufgeführt.

Um Halbzehn werden die Kühe in den Warteraum des Melkstands getrieben, angebunden, gestriegelt und für den festlichen Alpabzug geschmückt. Es dauert seine Zeit, bis bei allen 60 Kühen der Kopfschmuck sitzt und jede Fahrtreichel angezogen ist. Nach 10.30 Uhr zieht das Sennten los, darauf haben Hübschi, Stolzi, Rehli, Primäli, Viola und Wisäli lange gewartet. Bei der Golzernseilbahn und in Bristen stehen einige Leute am Strassenrand. Es wird gefilmt und fotografiert und die Bristenstrasse wird kurzzeitig gesperrt. Um 12.30 Uhr treffen die Kühe zum Verladen beim Holzplatz in Amsteg ein. Die Kühe von Sergio Poletti und Sonja Zgraggen ziehen weiter bis ins Bocki oberhalb Erstfeld. Am folgenden Montag wurde auf der Alp Stössi der Käse geteilt und eingelagert. Er wird bis zum Frühling reichen, bis zur nächsten Alpfahrt.

 

Verehrung Jahrtausende alt

Als Jäger und Sammler vor rund 10’000 Jahren im Nahen Osten, in Südchina und in Mittelamerika sesshaft wurden, betrieben sie erstmals Ackerbau und Viehzucht. In ihren Religionen verehrten sie alles was Leben und Nahrung spendete. Sonne, Quellen, Pflanzen und Tiere waren nach den Vorstellungen der Menschen der Jungsteinzeit beseelt und göttlich.

Um 3000 v. Chr. entstand in Ägypten eine der ersten Hochkulturen der Menschheit. Kein Wunder, dass die Kuh in Gestalt der Göttin Hathor (Frau mit Kuhhörnern und Sonnenscheibe auf dem Kopf) in Ägypten als Ernährerin des Menschen und als Muttergöttin verehrt wurde. Der Stier, Symbol der Fruchtbarkeit, Kraft und Lebens­energie, wurde in Stierkulten und Stieropfern ritualisiert und hat sich bis heute in Stierläufen und Stierkämpfen erhalten.

In Indien begründen Hindus die besondere Stellung des Tieres mit der Aussage, dass die Kuh eine Mutter sei, die Menschen alles zum Leben gebe. Die Kuh spendet die fünf heiligen Gaben: die Milch, den Ghee (eine Art Butterschmalz), das Joghurt, den Mist als Brennmaterial und Dünger und den Urin mit seiner heilenden Wirkung.

Auch in der Schweiz sind Kühe mehr als nur Milchproduzentinnen. Um die Kuh entwickelte sich über Jahrhunderte eine bäuerliche (Hirten-)Kultur mit Liedern (Kuhreigen), Bauernmalerei, kunstvollen Alltagsgegenständen und Festen. Hohes Ansehen geniessen die verschiedenen Kuhrassen: Beispielsweise werden die kampflustigen Eringerkühe als «Reines du Valais», als Königinnen des Wallis, verehrt.

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