Hilfe von oben
Dem Eid verpflichtet
Die 428 ha grosse Seenalp im Bisithal, umgeben vom Chaiserstock, Fulen, Rossstock und Chinzerberg, liegt auf 1200–2000 m ü. M. Der Bergbauer Hans Riedi ist dort Hirt, verantwortlich für 240 Rinder, 400 Schafe und 15 Kühe.
Vor 15 Jahren wurde er im Kapuzinerkloster Altdorf vereidigt. Im Rechtsbuch der Korporation Uri ist der Eid wortgetreu abgedruckt: «Wer das Amt des Hirten annimmt, hat folgenden Eid zu schwören: Den übertragenen Hirtendienst getreu und fleissig zu versehen, ein unparteiischer Hirt zu sein; das ihm anvertraute Vieh gut zu besorgen und selber nach seinem besten Vermögen vor Schaden zu hüten; das Salz unter das Hirtevieh zu verteilen und hierin niemanden besonders zu begünstigen; den Nutzen der Alp und der Hirte angelegentlich zu befördern und Schaden oder Gefahr abzuwenden.» Diesem Eid ist Riedi tagtäglich verpflichtet.
400 neue Hagstösse brauche er jeden Sommer, erzählt der Hirt in der Stube der Seenalphütte. Kilometerlange Zäune halten die Tiere auf der Alp beisammen, Gefahrenstellen sind ausgehagt. Die Tiere sind ständig unter Beobachtung. Täglich kontrollieren und zählen Hans Riedi und sein Sohn Heinz die Rinder. Die Schafe versorgen sie zwei Mal wöchentlich mit Salz. Die Hirten pflegen Verletzungen, behandeln Panaritium, pflegen Klauen. Damit tun die Hirten das Menschenmögliche. Doch das genügt Riedi nicht, «es braucht auch die Hilfe von oben.»
Machtlos gegenüber Naturgewalten
Hans Riedi freut sich über den Besuch von Wendelin Bucheli, den Pfarrer aus Bürglen. Für die Alpsegnung kam er zu Fuss über den Kinzigpass. «Es braucht die Alpsegnung. Wir können nicht für alles zuständig sein», betont Hans Riedi. Wendelin Bucheli, zieht sich
die Stola über, erbittet den Segen Gottes und betet mit Hans Riedi und seiner Schwiegertochter Nadja ein «Vaterunser» und ein
«Ave Maria». Anschliessend öffnet Wendelin Bucheli eine Petflasche mit Weihwasser und segnet die Menschen, das Haus, den Stall und die Alp.
«Das Schlimmste ist der Hagel», erzählt Hans Riedi. «Dann stehen die Rinder verängstigt auf der Weide und schliessen die Augen.
Du darfst nicht in ihre Nähe, sie könnten erschrecken, du musst die Rinder in Ruhe lassen. Gerät eine Herde in Bewegung, ist sie nicht mehr zu stoppen. Mein Vater erzählte mir von Rinderherden, die mitsamt ihrem Hirten über die Felswände in die Tiefe stürzten.»
Vielfacher Schutz
Nach der Alpsegnung bittet Hans Riedi den Pfarrer Wasser und Salz zu segnen. Bei Unwetter spritzt er Weihwasser aus dem Fenster. Gesegnetes Salz mischt er unter das Heu oder gibt es beim Käsen ins Kessi: Die drei Tonnen Seenalp-Käse sollen gelingen. Karfreitagseier, sie schützen vor Blitz, befinden sich in jedem Alpgebäude der Seenalp. Die Bauern schützen ihre Rinder bereits vor der Alpzeit. An Karfreitag werden Ohrenzeichen geschnitten oder den Rindern ein paar Schwanzhaare entfernt im Glauben, dass sie im Herbst gesund von der Alp heimkämen. «Auch die Armen Seelen helfen in Notsituationen, ich bete oft für die Armen Seelen», sagt Riedi.
Beim Einnachten spricht Hans Riedi jeden Abend den Betruf, denn in der Nacht bleibt die Alp «unbewacht». Bei diesem durch die Volle gesungenen Gebet dreht sich der Betrufer 360 Grad um die eigene Achse und zieht damit einen Ring um die Alp. Soweit der Schall des Betrufes gehört werden kann, soweit wirkt die Kraft des Bannes. Hans Riedi übergibt mit diesem magisch-religiösen Ritual die Alp
den Heiligen und der Muttergottes mit dem Jesuskind. Damit kann er Verantwortung abgeben, sich entlasten und ruhig schlafen.
Es wachen jetzt andere.
Dank für den Alpsommer
Auf dem Chinzigpass, dem Übergang vom Schächental ins Muotatal, befindet sich die kleine Kinzigkapelle. Nach dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche im Muotatal, wurde sie 1924 auf Initiative der Älpler und Sennen gebaut und den Bauernheiligen Antonius und Wendelin geweiht. Auch im kommenden Herbst wird Hans Riedi aus Dankbarkeit für den guten Alpsommer bei der Alpabfahrt Geld ins Kässeli werfen. Und eine Kuh wird dabei auf einem Täfelchen ihres Kopfschmucks die Muttergottes mit dem Jesuskind tragen.