Hudigäggeler und Hujässler
1998 kamen die Erneuerer wieder aus dem Kanton Schwyz. Sie nennen sich „Hujässler“, was nichts anderes heisst als Hudigäggeler.
Ursprünge der Volksmusik in der Schweiz
Um 1800 spielten wenige Einheimische ein Instrument wie Hackbrett, Zither, Geige oder Klarinette. Fahrende Musikanten zogen von Ort zu Ort und spielten für ein warmes Essen, einen Becher Schnaps oder einen Platz zum Schlafen. Ihre Instrumente – Klarinette, Geige und Basset, eine Mischung zwischen Cello und Kontrabass – tönten bescheiden, trotzdem waren diese Kapellen beliebt. Durch die in den 1830er-Jahren gegründeten kantonalen Militärmusikkorps mit den neuen Ventil-Blasinstrumenten bildeten sich zahlreiche Dorfmusikvereine. Sie waren oft die einzige Möglichkeit an ein Instrument zu gelangen und es zu erlernen. Die besten Bläser spielten in Fünfer-, Siebner-, Neuner- oder Zwölferbesetzung. Sie wurden als «Bauernkapellen» bezeichnet. Erstmals konnte sich ein regionaler Musikstil entwickeln.
Blas-Tanzkapellen und Streichmusiken
Um 1850 gab es in der Schweiz neben den fahrenden Musikanten zahlreiche Blas-Tanzkapellen. Fast gleichzeitig kamen die ersten Streichmusikkapellen auf. Sie spielten mit Klarinette, Trompete, zwei Geigen und Kontrabass. Die berühmteste Streichmusikkapelle des Kantons Schwyz war die Kapelle Fuchs aus Einsiedeln. Man nannte sie «Hudeli-Musig» und ihre Musik «Hudigäggeler», was bei den Musikern nicht gut ankam. «Johann Fuchs schmückte seine Musik mit Verzierungen, Trillern und Schleifern. Der Klang dieser mitreissenden und lüpfigen Tanzmusik war vollkommen neu«, sagt Pius Ruhstaller, Herausgeber von zwei Publikationen über die Volksmusik aus dem Kanton Schwyz. «Bald spielten mehrere Einsiedler Kapellen in der Art der Hudeli-Musig und begründeten damit den Innerschwyzer Stil, wie wir ihn heute kennen.»
Das Schwyzerörgeli
1829 erfand Cyrill Demian in Wien das «Accordion». Bereits 1836 entstand in Langnau die erste Handharmonika der Schweiz, das «Langnauerli». Das Instrument bot viele Vorteile: der Preis war niedrig und das Instrument im Gegensatz zu einer Trompete oder Geige relativ leicht zu erlernen. 1886 baute Alois Eichhorn in Schwyz die ersten Schwyzerörgeli. Sie klangen lauter als die «Langnauerli».
«Man konnte erstmals in verschiedenen Tonarten spielen und ein einziger Schwyzerörgelispieler war im Stande allein einen ganzen Saal unterhalten», sagt Pius Ruhstaller. Die semiprofessionellen Blas- oder Streichmusiken, die nach Noten spielten, wurde durch den «Ländler-Stil» abgelöst, die Blas- und Streichinstrumente durch das Schwyzerörgeli ersetzt. Die Schwyzerörgelispieler spielten aus dem Stegreif. Die Ländlermusik tönte schnell, rhythmisch, mitreissend und vor allem war sie neu und frisch. Die Muotataler Alois Suter (1861–1950) Melchior Anton Langenegger (1872–1938) und Franz Betschart (1870–1924) gehören zu den Pionieren der Schwyzerörgelimusik.
Ländlermusik im Niederdorf
Nach dem Ersten Weltkrieg und in der Zeit der Wirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre suchten zahlreiche Menschen vom Land Arbeit in der Stadt. Sie brachten ihre Musik mit und die Ländlerkapellen wurden in Zürich eine neue Attraktion. Einer der bekanntesten Repräsentanten dieser Musik war der in Wollerau geborene Joseph Stocker, ein guter Klarinettenspieler und ein cleverer Geschäftsmann. Schnell merkte er, dass sich das Urchige beim städtischen Publikum gut verkaufte. Anstatt im besten Anzug, mit Hemd und Krawatte aufzutreten, stattete er seine Kapelle mit Unterwaldner Hirthemden aus und nannte sie «1. Unterwaldner Bauernkapelle». Weder er noch seine Mitmusikanten waren Bauern oder Unterwaldner.
Zwischen 1922 bis 1938 nahm Sepp Stocker in Zürich, Paris und London über 400 Stücke auf Schallplatten auf und verkaufte sie erfolgreich. «Durch den berühmten Klarinettisten und Ländlerkomponisten Kasimir Geisser, 1899 in Goldau geboren, etablierte sich die Klarinette als melodienführendes Instrument und die Besetzung seiner Kapellen mit Klarinette, zwei Handorgeln und Bass wurde zum Standard für spätere Ländlerformationen», so Markus Brülisauer, Leiter des Hauses der Volksmusik.
Geistige Landesverteidigung und Stillstand
«Als Joseph Stocker 1939 die musikalische Leitung an der Landesausstellung übernahm und mit seiner Kapelle im legendären Landidörfli für Musik sorgte, stieg die Ländlermusik endgültig von einer feuchtfröhlichen Tanz- und Unterhaltungsmusik der unteren Schichten zur Schweizer Nationalmusik auf – nicht zuletzt als Bestandteil der ‹Geistigen Landesverteidigung›», schreibt der Musikhistoriker Dieter Ringli.
Der junge Klarinettist Jost Ribary, Komponist der «Steiner Chilbi», spielte in der Besetzung Klarinette oder Saxophon, Akkordeon Kontrabass und Klavier. Diese Besetzung zementierte sich ab der 1950er-Jahren und wurde in der Bevölkerung als «traditionelle Innerschweizer Ländlermusik» verankert. Als sich in den 1960er-Jahren die Schwyzerörgeli- und Handorgel-Duos und -Trios als vollwertige Formationen durchsetzen konnten, war die Entwicklung der Innerschweizer Ländlermusik vorerst abgeschlossen. Mit dem Aufkommen der Rock- und Folkmusik spaltete sich die Populärmusik in verschiedene Szenen auf, die voneinander keine Notiz nahmen. Die Volksmusik reduzierte sich zunehmend auf einen immer kleiner werdenden Kreis von Liebhabern und Kennern. Die traditionelle Ländlermusik wurde, gefördert durch das Fernsehen, als nationales Kulturerbe verstanden, das es zu konservieren galt.
Aufbruch und Neuanfang
1983 liess der Engadiner Domenic Janett die mit der «Fränzlimusig» die Streichmusik von Fränzli Waser wiederaufleben. In der Innerschweiz stand ausgerechnet der Traditionalist Rees Gwerder am Anfang der Erneuerungsbewegung der Schweizer Volksmusik. Sein Leben lang spielte der Muotataler Rees Gwerder auf seinem Eichhornörgeli ausschliesslich alte Tänze, die er zum Teil neu kombinierte oder wie er sagte «zwägg gchlüngelet het». Diese Musik faszinierte den Luzerner Musikethnologen Cyrill Schläpfer. Durch den seinen Film «UR-Musig» (1993) gelangte Gwerder zu internationalem Ruhm. 2011 schrieb der Luzerner Musikjournalist Pirmin Bossart in der Luzerner Zeitung: «Rees Gwerder hatte dieses ungeschminkt Authentische und Knorrige, das man in den Wysel-Gyr-Jahren der medial aufbereiteten Ländlermusik so nie zu Gehör bekommen hatte.»
Der Klarinettist Dani Häusler und der Akkordeonist Markus Flückiger gründeten 1996 die Gruppe Pareglish. Sie spielten neben Volksmusik aus Finnland oder dem Balkan, auch Reggae, Klezmer, Jazz und Rock. Mit der Gründung der Formation Hujässler (ein anderes Wort für Schränzer, Hudiggägeler) 1998 stellten Häusler und Flückiger die Schweizer Volksmusik auf den Kopf. Ländler-Standards und traditionellen Ländlerstücke erweiterten die Hujässler in Harmonik, Rhythmik und Phrasierung mit Techniken aus Klassik und Jazz. Bald kamen Eigenkompositionen dazu. So frech wie der Name der Formation, so frisch und witzig tönte und tönt ihre Musik, ganz im runden, urchigen Innerschwyzer Stil. Die Medien prägten dafür den Begriff «Neue Volksmusik».
Neue Impulse durch die Hanni-Christen-Sammlung
Ein weiterer, markanter Entwicklungsschritt in der schweizerischen Volksmusikszene war die Herausgabe der Hanni-Christen-Sammlung 2002. 12'000 Melodien sammelte die Baselbieterin Hanny Christen (1899–1976). Die Hanneli-Musig um den Multiinstrumentalisten Ueli Mooser den Klarinettisten Dani Häusler und den Cellisten Fabian Müller hat seit ihrem 16-jährigen Bestehen über 100 Stücke arrangiert und auf sieben CDs gebrannt. Die Hanneli-Musig bringt die alte Tanzmusik zum Klingen und das Publikum mit ihren rhythmischen Spezialitäten und überraschenden Harmonien zum Staunen. Das Notenmaterial reicht zurück bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts, dennoch wird die Hanneli-Musig mit der «Neuen Volksmusik» in Verbindung gebracht.
Prägende Schwyzer Volksmusikgrössen
«Es gibt kaum einen Kanton, der eine solche Tradition in der Ländlermusik vorweisen kann wie der Kanton Schwyz», schreibt Beat Tschümperlin in seinem Vorwort zum Band «Innerschwyzer Volksmusik». Tschümperlin erwähnt die Schwyzerörgeli-Altmeister Josef Stump und Balz Schmidig oder die Muotataler Rees Gwerder, Anton Betschart und Franz Schmidig; Vertreter des Illgauer-Stils, wie Toni Bürgler; die «Ländlerkönige» Kasi Geisser und Hermann Lott; die Hudeli-Musig und Martin Beeler aus Einsiedeln; Edgar Ott, die Kapelle Reichmuth, die Kappelle «Echo vom Hirsch» und die «Druosbärg-Büeblä» aus dem Ybrig; der Akkordeonist Hugo Bigi aus Lachen oder die Erneuerer der Schweizer Volksmusik, die Gruppen «Rampass» und «Hujässler» mit Markus Flückiger, Dani Häusler, Reto Kamer und Sepp Huber. Die Liste könnte um Dutzende weitere Musiker und Formationen ergänzt werden.