Im Zauber von Klang und Licht
Das Lichtspiel der farbenprächtigen Iffelen, das Knallen der «Geislechlepfer», die archaischen Klänge der Kuhhornbläser und das Dröhnen von über 500 Treichlern bilden ein optisches und akustisches «Gesamtkunstwerk».
Eine lange Lichterkette
Mit dem achten Glockenschlag löschen in Beckenried die Strassenlaternen, in den Häusern gehen die Lichter aus, das Dorf liegt im Dunkeln. Im Dorfzentrum und entlang der Hauptstrasse erwarten Tausende voller Spannung den Umzug. «Geislechlepfer» eröffnen den Zug mit lautem Knallen. Die roten Lämpchen, an der Spitze der Geisel befestigt, zeichnen rhythmische Linien ins Dunkel. Dahinter erscheint die 2,40 Meter hohe Izugs-Iffele mit dem Bild des heiligen Niklaus als Patron der Seefahrer.
Wie eine lange Lichterkette gleich, bewegt sich der Zug aus Laternen, Fakeln und Iffelen von der Anlegestelle der Fähren ins Dorfzentrum. An der Spitze Kinder mit ihren farbenprächtigen Stab-Iffelen, dahinter folgen Dutzende grösserer Iffelen. Im Inneren brennen mehrere Kerzen, welche eine faszinierende Vielfalt von Bildern zum Leuchten bringen: Rosetten, Kreuze, Heilige, Sankt Niklaus, Kühe, Alpabzüge, Trichlergruppen, Bauernhäuser, Wappen, Krippenszene, Engel, Kapellen oder Kirchen. Die scherenschnittartigen Bilder erinnern in ihrer grafischen Gestaltung und Leuchtkraft an Kirchenfenster. Die Stimmung – ruhig, feierlich. Es folgen Fackelträger und Kuhhornbläser, danach winkt der Samichlaus in seiner Kutsche freundlich Kindern und Erwachsenen zu.
Wie in Trance
In der Dunkelheit nicht auszumachen, aber deutlich zu hören – der lange Zug der 500 Trychler. Wumm, Wumm – Wumm, wumm. Immer lauter, immer näher. In weissen „Burdihämmli“ tragen Männer grosse Stahltreicheln vor sich her. Wumm, Wumm – Wumm, wumm. Gleichmässig im Takt, Schritt für Schritt vorwärts. Es dröhnt in den Ohren, vibriert in der Magengegend. Wumm, Wumm – Wumm, wumm – Schritt für Schritt. Wumm, Wumm – Wumm, wumm – wie in Trance. Die Einheit, der Gesamtklang zählt.
Nach einer Dreiviertelstunde zieht die Treichlergruppe auf dem Dorfplatz im Kreis um den Samichlaus: Das «Uistrchle» ist der letzte Höhepunkt des Umzugs. Vom wiegenden Rhythmus wechselt der Klang in ein wildes, immer schneller und lauter werdendes Finale, das nach einer halben Minute jäh abbricht. Erschöpft stellen die Treichler ihre grossen Glocken für einen Moment auf den Boden. Danach gibt’s für alle Umzugsteilnehmer eine Samichlaus-Wurst. Für die meisten ist das Volksfest noch lange nicht zu Ende. Sie geniessen das Zusammensein in den Restaurants des Dorfes.
Lange Tradition
Viele, wie das Samichlaus-Trinkeln stehen in Zusammenhang mit der dunklen und kalten Jahreszeit. In der Volksfrömmigkeit glaubte man mit Lärm wie Geschrei, Trommeln oder Räuchern böse Geister verscheuchen zu können. In den «Rauhnächten» zwischen Weihnachten und dem Dreikönig wurden Häuser und Ställe durch das Verbrennen geweihter Kräuter gereinigt. An diese alten Riten denkt beim Samichlauseinzug in Beckeried nicht mehr.
Die Ursprünge dieses Volksfestes reichen in die 1920er-Jahre zurück. Damals zogen erstmals Jugendliche trychelnd von Hof zu Hof. 1936 organisierte der Turnverein erstmals einen Samichlaus-Einzug. Heute nehmen 900 Iffeleträger, «Geislechlepfer», Fakelträger und Trychler am Umzug teil. Im Hintergrund arbeiten rund 140 freiwillige Helferinnen und Helfer. Sie nähen Kostüme, fertigen Ruten, knüpfen Perücken, verpacken Chlaussäckli.
«Der Samichlaus-Einzug verbindet das Dorf. Er ist auch eine grosse logistische Herausforderung», sagt der oberste Verantwortliche Roger Christen. 28 Samichlaus-Gruppen besuchen jeweils am Samstag und Sonntag sämtliche Haushaltungen in Beckenried.
Jedes Kind erhält ein Chlaussäckli. Nebst Lebkuchen, sowie den beiden Beckenrieder Gebäcken «Vegili» und «Schnäggili», Nüssen und Schokokugeln braucht es eine Menge Spanische Erdnüsse und Mandarinen. Je ein halbe Tonne.
Herausragendes Kunsthandwerk
Bereits im Kindergarten gestalten Buben und Mädchen Laternen, in der Primarschule Stabiffelen und in der Oberstufe die grossen Iffelen. Die Sujetwahl ist frei, der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt.
Seit 41 Jahren ist der Grafiker Markus Amstad einer der Umzugsleiter des Chlauseinzuges und eben solange baut er Iffelen. Mit seinen künstlerisch hochstehenden Iffelen hat er der Volkskunst in Beckenried neue Impulse gegeben. Zuerst zeichnet Amstad die Sujets mit Bleistift auf einen mehrschichtigen Karton. Danach erfolgt das Ausschneiden und Ausstanzen – dies erfordert höchste Präzision und Konzentration. Die herausgeschnittenen Flächen hinterlegt Amstad mit farbigem Seidenpapier. Danach befestigt er die beiden grossen Kartonteile, ähnlich einer Bischofsmütze, auf einem Holzboden und montiert mehrere Kerzen zur Beleuchtung. Das erstmalige Anzünden der Kerzen ist für Markus Amstad ein magischer Moment – er ist fasziniert von der Arbeit mit Licht, liebt das Mystische.
Unter www.samichlais.ch können Tisch-Iffelen bei Markus Amstad bestellt werden.