Zeichen des Aufbruchs
1978 legte das Meiental mit der Einweihung der Wasserversorgung den Grundstein seiner Talentwicklung.
Das Mehrzweckgebäude und die Lawinenverbauungen am Rinistock waren weitere Meilensteine. Mit dem Bau von modernen Wohnungen will Nicolas Etter zwei junge Familien dazu bewegen ins Meiental zu ziehen.
Es braucht mehr Eigeninitiative
Im Urner Unterland würden sie nicht auffallen, die Profilstangen, dort wird seit 15 Jahren pausenlos gebaut. Im Meiental ist bereits die Profilierung eines neuen Hauses eine kleine Sensation. Dahinter steckt der Meientaler Nicolas Etter, aufgewachsen im Gasthaus Sternen, den seine Mutter 1968 gekauft hatte. Der Bankfachmann wohnt im renovierten Gasthaus, die ehemalige Gaststube des «Sternen» ist jetzt sein Wohnzimmer. Täglich pendelt er zur Arbeit nach Altdorf.
Nicolas Etter half bereits als kleiner Bub im Restaurant mit, servierte, war Mädchen für alles. «Der Sternen» war das Zentrum des Dorfes: «Jeden Sonntag kamen die Kirchgänger zum Jassen. Beim Absenden eines Skirennens oder bei der Chilbi war die Gaststube voll», erinnert sich Etter. «Wenn die Katzenmusik auf die Pauke haute, zitterte das ganze Restaurant. Da war so viel Leben im Dorf, im Winter und im Sommer. An schönen Sommertagen hielten bei uns die Cars, bevor sie über den Susten fuhren. Auf der Terrasse und im Restaurant herrschte dann Hochbetrieb, die Frau des Posthalters half beim Servieren.»
Etter, ein engagierter Meientaler, ist Mitglied der Vereinigung «Pro Meien», war im Gemeinderat Wassen und wirkt heute in der Rechnungsprüfungskommission mit. Als Talarchivar besitzt er eine bedeutende Sammlung mit Hunderten von Fotos, Postkarten und Dokumenten des Meientals. «Wenn ich am Abend heimkomme, brennt im Weiler ‹Bei der Kapelle› meistens kaum Licht. Das Posthaus ist nur zeitweise bewohnt, das Dach ist undicht. Auch anderorts im Tal stehen zahlreiche baufällige Häuser leer. Das tut weh.»
Komfortabler Wohnraum für zwei Familien
Bereits vor 20 Jahren versuchte «Pro Meien» mit einer nationalen Kampagne Familien im Tal anzusiedeln, eine ist geblieben. Etter nimmt nun einen neuen Anlauf. Er kaufte das Kaplaneihaus und das «Wöschhüsli» und erarbeitete mit einem Altdorfer Architekturbüro Pläne für den Neubau, die er 2017 den Behörden und dem Vorstand von «Pro Meien» präsentierte. «Das Projekt stösst bei der Bevölkerung, beim Gemeinde- und Kirchenrat auf grosse Zustimmung.»
Direkt neben dem Mehrzweckgebäude, der Kirche und dem ehemaligen Gasthaus Sternen will Etter zwei helle, komfortable und preiswerte Wohnungen anbieten: «Familien sollen sich im Meiental wohlfühlen. Nach Erteilung der Baubewilligung und dem Baubeginn im Frühling 2018, werden voraussichtlich im Herbst die beiden Wohnungen bezugsbereit sein.» Etter ist zuversichtlich: «Wir müssen etwas wagen, nach vorne schauen, es braucht viel mehr Eigeninitiative. Wenn wir die Bevölkerungszahl stabilisieren oder sogar leicht steigern können, haben wir viel erreicht.»
Schritt für Schritt vorwärts
Pia Baumann De Moliner und ihr Mann Alois, einst treibende Kräfte von «Pro Meien», freuen sich, dass ihr Sohn den Bauernbetrieb weiterführen will. Es geht weiter im Meiental, langsamer als in der Euphorie der 1990er-Jahre erhofft, aber Schritt für Schritt. Alois Baumann zählt auf: sechs junge Familien, zwei Jungbauern, die bereits den Betrieb der Eltern übernommen haben, ein modernes Gästehaus, eine neu renovierte Besenbeiz.
«Die Schliessung der Gesamtschule Meien 2002 war ein herber Rückschlag für die Talentwicklung», sagt Pia Baumann De Moliner. «Das Mehrzweckgebäude hat aber als Gaststätte und Begegnungsort eine grosse Bedeutung für das Leben im Tal. Die Chilbi,
die Fasnacht, kulturelle Veranstaltungen, Kurse, Sitzungen und Versammlungen finden hier statt. Der Kirchenchor probt im Mehrzweckraum. An Weihnachten geniessen nach dem Krippenspiel oft über 100 Personen das Zusammensein in der Kaffeestube.»
Kampf um den Nottunnel
Ein Nottunnel, mit Rotlicht, einspurig geplant, ist kein Luxus. Die wintersichere Strassenverbindung, Teil des Strassenbauprogramms des Kantons Uri von 1987, bleibt ein uneingelöstes Versprechen. Der Kanton baute stattdessen Galerien nach einem Steinschlag am Sustenpass. Der Vorstand von «Pro Meien» und die Talbevölkerung setzen sich seit Jahren erfolglos dafür ein, dass ein wintersicherer, einspuriger Tunnel von Husen ins Dörfli gebaut wird.
Am 26. Juni 2013 gelangte die Wassner Landrätin Verena Walker mit einer Motion für den Bau einer Notstrasse an den Regierungsrat: «Keine Verbindungsstrasse in die Seitentäler ist so häufig geschlossen wie jene von Wassen ins Meiental. Seit der definitiven Schliessung der Gesamtschule Meien im Jahre 2002 durch den Landrat hat dieses Projekt eine noch grössere Bedeutung erhalten, weil die Meientaler Schulkinder wegen der Kreisschullösung den gefährdeten Strassenabschnitt täglich mehrmals zu durchqueren haben.»
15 Millionen Franken waren für den Bau der Winternotstrasse voranschlagt – im Oktober 2014 stimmte der Landrat gegen das Postulat von Verena Walker. Stattdessen bewilligte der Regierungsrat bei Lawinengefahr Pendlern, der Spitex oder dem Hausarzt Heliflüge. Schülerinnen und Schüler sollen bei Lawinengefahr frühzeitig nach Hause gebracht werden. «Das mag aus Sicht der ‹Unterländer› genügen – für die Meientalerinnen und Meientaler bleiben die Lawinen lebensbedrohlich. Die vielen Strassensperrungen sind auch psychisch belastend und das Tal wird in seiner Entwicklung behindert», sagt Josef Baumann, Präsident von «Pro Meien». «Ohne eine wintersichere Verbindung sind Junge gezwungen das Tal zu verlassen, weil Arbeitgeber niemanden einstellen, der nicht regelmässig zur Arbeit erscheinen kann.»
Im Zeitfenster durch die Lawinenzone
In der Nacht auf Karsamstag fielen in Wassen und Meien über 60 cm Schnee. Am 3. April stürmt der Föhn, der Schnee schmilzt, die Strasse ist aper. Kurz nach Husen steht ein Kantonsarbeiter bei der Schneefräse. Die Strasse ins Dörfli ist wegen Lawinengefahr seit Karsamstag gesperrt. Zwischen 7 bis 8 Uhr, 12 bis 13 Uhr und 16 bis 17 Uhr können Meientalerinnen und Meientaler die Strasse Husen–Dörfli passieren. Der Abschnitt wird von zwei Kantonsarbeitern beobachtet, sie sind über Funk verbunden. «Eine Grundlawine fliesst zwar langsam, aber man muss mit Vollgas durch die Lawinenzone», erklärt der Posten. Ein unangenehmes Gefühl: Die Husertal-Laui, die Leweren-Laui und die Rohrtal-Laui haben die Strasse diesen Winter bereits mehrmals verschüttet. Der Lawinenkegel der Husertal-Laui türmt sich beidseits der Strasse sechs Meter hoch. Die Lawine kam am 28. Januar, am frühen Morgen, die Strasse war offiziell geöffnet. Es ist 16.30 Uhr, der Schulbus hat den Posten noch nicht passiert. Täglich fährt er durch 10 Lawinenzüge.
Mehr Zusammenarbeit nötig
1988 wurde der Kirchenchor gegründet. Heute singt der Chor an Karfreitag, Ostern, Chilbi, Allerheiligen, Weihnachten. 18 Personen
sind dabei, sechs gebürtige Meientalerinnen und Meientaler kommen von Altdorf, Wassen, Andermatt und aus dem Muotathal. Vor den Auftritten wird mehrmals geprobt. Nach der Messe trifft sich die Meientaler Bevölkerung im Mehrzweckgebäude.
Der Kirchenchor schmückt den Raum, serviert Kaffee und Kuchen. «Die Treffen nach der Kirche sind wichtig, leben die Meientaler in weit auseinanderliegenden Weilern», sagt der ehemalige Kreiskommandant und Sänger Werner Senn. Im Meiental aufgewachsen und seit 20 Jahren Sekretär des Kirchenchores, ist Senn ein Insider mit Aussensicht. «Bei der Schule arbeiten die Gemeinden Wassen, Gurtnellen und Göschenen seit Jahren zusammen. Auch auf politischer Ebene wäre eine vertiefte Zusammenarbeit zu prüfen.»
Die von Abwanderung betroffenen Gemeinden Wassen, Gurtnellen und Göschenen sollen nach einem Projekt der Urner Regierung und der Hochschule Luzern als preisgünstige Wohnorte funktionieren. Leere Wohnungen werden saniert und an Angestellte des Andermatter Luxusresorts vermietet. «Die Fördergelder der Neuen Regionalpolitik fliessen in die Zentren Andermatt und Altdorf, den beiden Entwicklungsschwerpunkten der Urner Regierung», sagt der Präsident von «Pro Meien» Josef Baumann. «Geld wäre auch für eine wintersichere Verbindung Husen–Dörfli vorhanden. Zum Beispiel aus dem Topf des ordentlichen Finanzausgleichs des Bundes.»
40 Jahre Talentwicklung
Die Idee das Meiental vorwärts zu bringen und die Abwanderung zu stoppen, hatten Pia De Moliner und Josef Schuler 1980 auf einer längeren Reise in Mexiko. Am 23. Mai 1981 wird die Vereinigung «Pro Meien» gegründet, Eugen Baumann wird erster Präsident. Für den Bau des Schulhauses sammelte «Pro Meien» 1'183'120 Franken. Am 23. Mai 1988 wurde das Schulhaus eingeweiht – ein Meilenstein der Talentwicklung. Seit Jahren verbessern Bauernfamilien ihre Infrastruktur mit Stallneubauten oder zeitgemässen Wohnhäusern.
1978 Einweihung Wasserversorgung
1981 Gründung der Vereinigung «Pro Meien», als Selbsthilfeorganisation des Meientals.
1981 Bau des Lawinenbunkers in Husen
1983 Kauf einer Schneefräse
1988 Einweihung des Schulhauses, Gründung des Kirchenchors
1988 bis 2002 Bau der Lawinenverbauungen am Rinistock
1998 Schweizweite Kampagne «Meientals Aufschwung – Deine Zukunft» – «Pro Meien» sucht Zuzüger
2002 Schliessung der Schule
2006 Wintersichere Stromversorgung, Verlegung der Stromleitung in den Boden
2008 Sitzbänke für den Tourismus
2011 Eröffnung des neuen Fussballplatzes, abseits der Reuss